Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
in zwei Stunden beginnen, aber der Pfarrer ist schon da. Jerry Stroup ist seit fünf Jahren der Pastor in dieser Gemeinde, die, wie er versichert, im Umkreis von etwa 30 Kilometern mehrere hundert aktive Mitglieder hat. In dem Gemeindesaal neben der Kirche, wo wir uns unterhalten, stehen etwa 20 Tische mit adretten grünen Tischdecken. Hier können mindestens 150 Leute sitzen. Die meisten Pfarrer in Deutschland brauchen für die engagierten Gläubigen ihres Sprengels sehr viel weniger Möbel.
Der Pastor findet mein Vorhaben interessant, unterhält sich gerne mit mir und bietet mir an, dass ich später auch seiner Unterweisung von Missionaren zuhören dürfe, wenn mich das interessiere. Jerry Stroup hält es für ein Zeichen Gottes, dass mich mein Weg hierher geführt hat. Ob ich »wiedergeboren« werden wolle? »Wiedergeboren« ist die Übersetzung des englischen »born again« und bedeutet: Die Gläubigen haben Jesus Christus als ihren persönlichen Erlöser anerkannt. Mit dem Glauben an Reinkarnation hat das also nichts zu tun. Ganz schlüssig erscheint mir das Konzept nicht, denn das Bekenntnis zu einer christlichen Kirche schließt doch den Glauben an Jesus zwangsläufig mit ein. Wozu dann noch einmal dieser weitere Schritt?
Ich möchte jedenfalls jetzt nicht wiedergeboren werden, was Jerry Stroup traurig macht. Er schaut mich betrübt an und fragt, ob er für mich beten dürfe. Selbstverständlich darf er das, allerdings habe ich nicht erwartet, dass er damit nun sofort und auf der Stelle beginnen würde. Es ist für mich eine sehr fremde und etwas peinliche Situation, als der weißhaarige, ältere Mann laut und ausführlich in dem riesigen Gemeindesaal, in dem nur wir beide sitzen, Gott anruft, dass der mich auf den rechten Weg und zu der Erkenntnis führen möge, heute nun doch wiedergeboren werden zu wollen. Angenehm finde ich das nicht. Aber ich kann einem Pfarrer, von dem ich Hilfe bei der Ausübung meines Berufes erwarte, wohl kaum einen Vorwurf machen, wenn auch er seinen Beruf ausübt.
Als nach längerer Zeit das Gebet beendet ist, erzählt mir Jerry Stroup, dass heute ein ganz besonderer Tag für die Gemeinde ist. Ein Prediger aus den Philippinen sei zu Gast. Deshalb trage er, Jerry, heute auch dieses hellblaue Hemd mit asiatischer Stickerei: »Er soll sich hier wohlfühlen.« Vor einem halben Jahr ist der Pastor aus Grass Valley selbst auf den Philippinen gewesen, ein Erlebnis, das ihn tief beeindruckt hat. »Ich habe mehrere Wunder dort erlebt und war Zeuge, wie Blinde wieder sehen und Gelähmte wieder laufen konnten.«
Der Glaube an Wunderheilungen ist Bestandteil der offiziellen Lehre der Pfingstbewegung. Ich weiß das, aber ich schaue Jerry Stroup dennoch etwas zweifelnd an. Meint er das wirklich ernst? Ja, das meint er völlig ernst. Er erzählt davon mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der er vermutlich auch darüber sprechen würde, dass es am Vortag geregnet hat. Auf dieser Reise hat er den Prediger kennengelernt. »Er hat die Vision, dass in drei Jahren jeder – jeder einzelne – Bewohner der Philippinen wiedergeboren sein wird. Das hat mich so berührt, dass ich ihn gleich nach Kalifornien eingeladen habe.«
Die etwa fünf Prozent der Philippinos, die sich zum Islam bekennen, dürften von der Vorstellung weniger begeistert sein. Wie steht Jerry Stroup eigentlich zu Muslimen? Er schaut mich freundlich lächelnd über seine Brille hinweg an: »Wir lieben die Muslime, aber sie alle brauchen Jesus.« Und die Juden? Die Frage ist dem Pfarrer erkennbar nicht so angenehm. Er zögert, druckst ein wenig herum und meint schließlich: »Gewissermaßen liegen ja die Wurzeln des Christentums im Judentum begründet.« Was heißt? Jerry Stroup wird einer Antwort enthoben, weil in dem Augenblick mehrere Gemeindemitglieder eintreffen, die an der Bibelstunde vor dem Gottesdienst oder an der Unterweisung von Missionaren teilnehmen wollen.
Das Verhältnis zwischen Juden und fundamentalistischen Christen ist kompliziert. Einerseits stehen Evangelikale verschiedener protestantischer Kirchen, deren Gemeinsamkeit im Glauben an die buchstäbliche Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift besteht, fest an der Seite des israelischen Staates, weil aus der Bibel hervorgeht, dass dieses Land den Israeliten von Gott gegeben wurde. Die Position ist weitverbreitet, Israel habe einen unwiderruflichen Anspruch auf alle Gebiete innerhalb der biblischen Grenzen und dies dürfe kein Gegenstand von Verhandlungen irdischer
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