Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
dem Fortbestand der Führungsrolle der derzeit einzigen Weltmacht geht. Aber gerade dort habe ich Neugier, Engagement und eine große Bereitschaft zur persönlichen Anstrengung vorgefunden, die ich in Kalifornien vermisste. Möglicherweise ist das Zufall. Aber vielleicht zeichnet sich der Wandel vom Gestern zum Heute auch genau so ab, und vielleicht vollzog sich ein solcher Wandel niemals anders als unauffällig. Abzulesen nur an scheinbar unbedeutenden Kleinigkeiten. Und irgendwann unumkehrbar.
Werden meine heute 19-jährige Tochter und deren Freunde in 30 Jahren nach Arizona fahren, um einen Blick in die Zukunft zu werfen? Oder doch lieber nach Bombay? Oder gibt es für sie dann ohnehin keine Alternative mehr zum Schwarzwald, weil private Flugreisen bis dahin längst verboten sind? Nichts von alledem vermag ich heute einzuschätzen. Aber sagen kann ich: Ich habe in den Vereinigten Staaten auf meiner Reise nichts Interessanteres gefunden als Idaho und Arizona.
Weiter geht es nach New Mexico. Auf der Straße nachdrückliche Warnungen vor Sandstürmen. Ich bin auch schon auf Evakuierungsrouten für den Fall drohender Hurrikans gefahren. Und auf Fluchtwegen für Tsunamis. Die sind offenbar nicht allein ein Problem der Neuzeit: Am 26. Januar 1700 ist eine riesige Flutwelle, mehr als 15 Meter hoch, an der Pazifikküste in Oregon über alles Leben am Ufer hereingestürzt. In Kalifornien habe ich an Häusern den Hinweis gesehen, das Gebäude sei nicht erdbebensicher gebaut. An Straßenschilder mit gezeichneten Klapperschlangen habe ich mich mittlerweile gewöhnt, die gibt es in vielen Bundesstaaten. Die Natur als Bedrohung: Was in Deutschland eine seltene Ausnahme ist, gehört hier fast überall zum Leben. Tiefe Dankbarkeit erfüllt mich für die Geborgenheit, die meine Heimat bietet und die ich bisher ganz selbstverständlich hingenommen habe.
An der Autobahn liegt die Stadt Truth or Consequences. Nichts an ihr ist bemerkenswert – außer dem Namen: Wahrheit oder Konsequenzen, ein Spiel, das es auch bei uns gibt und »Wahrheit oder Pflicht« heißt. 1950 war Truth or Consequences in den USA der Titel eines populären Hörfunkprogramms. Moderator Ralph Edwards versprach, die Sendung werde künftig aus der ersten Stadt ausgestrahlt, die sich nach seiner Show benannte. Der Gemeinderat von Hot Springs nahm ihn beim Wort.
Wahrscheinlich muss man in dieser Gegend jede Gelegenheit zu netter Unterhaltung ergreifen, die sich bietet. Wild, karg und wieder einmal sehr einsam ist das Land, in dem es außer Wüste und Bergen wenig gibt. Aber schön ist es hier. New Mexico hat den höchsten Bevölkerungsanteil an Indianern nach Alaska – mehr als zehn Prozent – und den höchsten Anteil hispanischer Einwanderer. Das sieht man den Dörfern und Städten an: Im Pueblo-Stil werden auch heute noch viele Gebäude errichtet. Zum Beispiel das Gericht im Städtchen Socorro.
Berüchtigt und berühmt ist der Ort aus zwei Gründen: Am 16. Juli 1945 wurde ganz in der Nähe die erste Atombombe gezündet. Am 24. April 1964 soll hier ein UFO gelandet sein. Seither haben sich die Außerirdischen allerdings nicht mehr blicken lassen, und ich kann das verstehen. Wenn ich auf einem fremden Planeten feststellen müsste, dass seine Bewohner eine Atombombe für eine brauchbare Erfindung halten – ich würde auch kopfschüttelnd auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Da mit Gesprächspartnern aus dem All also nicht zu rechnen ist, muss ich mich irdischen Themen zuwenden. Schon lange wollte ich mir eine Gerichtsverhandlung anschauen, vor allem deshalb, weil Kriminalfälle, Ermittlungsarbeit und Prozesse in den Vereinigten Staaten auf noch größeres Interesse stoßen als bei uns. Mehrere Fernsehkanäle füllen fast ihr gesamtes Programm mit diesen Themen, auch Nachrichtensender zeigen regelmäßig Sondersendungen dazu, und manche Verdächtige sind prominenter als Popstars.
Die Frage nach dem Motiv – im sogenannten Reality-TV bei uns ein zentraler Aspekt – spielt übrigens nur eine geringe Rolle. Es geht fast ausschließlich um die Frage, ob und wie ein Täter überführt werden kann. Verständnis für Gesetzesbrecher ist in den USA keine mehrheitlich akzeptierte gesellschaftliche Norm. Das spiegelt sich in manchen Gesetzen wider, die mir fremd sind und von denen ich inständig hoffe, dass sie mir und meinem Land auch fremd bleiben werden. Nicht nur die Todesstrafe. Ein anderes Beispiel: Die Gemeinde, in der sich ein Sexualstraftäter nach
Weitere Kostenlose Bücher