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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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zu finden, schaue ich mich ein wenig genauer im Büro um. Gepflegte, glänzend polierte Holzmöbel stehen darin, die Einrichtung ist hübsch – aber edel ist sie nicht. Und der Raum ist auffallend klein.
    »Ich habe nie zu den Anwälten gehört, die 100000 Dollar im Jahr verdienen«, sagt Deschamps trocken. »Ich mache viel unbezahlte Arbeit.« Deshalb kann er sich auch nicht zur Ruhe setzen, obwohl er das so gerne täte. Das Ziel seiner Träume ist übrigens Sandpoint in Idaho. »Privatmandanten kann ich 250 Dollar die Stunde berechnen. Aber als Pflichtverteidiger komme ich oft gerade mal auf drei Dollar Stundenlohn, und davon gehen dann noch die Betriebskosten ab.« 500 Mandanten hat er derzeit, mehr als doppelt so viele wie die Anwaltskammer empfiehlt. 60 Prozent sind Strafrechtssachen. »Ich verteidige fast nur arme Leute.« Das kann ich mir gut vorstellen. Mehr als die Hälfte der Einwohner von Socorro ist hispanischer Herkunft. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze – und 44 Prozent aller Kinder und Jugendlichen. Ich habe den Eindruck, dass sich hier jemand große Mühe gibt, sein gutes Herz unter einer möglichst bärbeißigen Miene zu verstecken.
    Eigentlich mag Lee Deschamps die Stadt nicht, in der er seit über 30 Jahren lebt. Die Hispanier seien Meister der Vetternwirtschaft und schotteten sich gegenüber allen anderen Gruppen ab. Der Anwalt stammt aus Michigan: »Im Mittleren Westen wirst du für das respektiert, was du produzierst. Hier geht es darum, wer mit wem verwandt ist und was man füreinander tun kann.« Die Freundlichkeit der Latinos sei nur oberflächlich. Dann beugt sich Lee Deschamps in seinem Stuhl nach vorne, und sagt eindringlich und bedeutungsschwer: »Alle anderen kamen hierher auf der Suche nach Freiheit. Nur die Spanier kamen auf der Suche nach – Gold!«
    Was sich als historisch-philosophische Analyse tarnt, ist die ideologische Unterfütterung von Abgrenzung, also blanker Rassismus. Und Unfug dazu. Nicht nur deshalb, weil sich das von den Schwarzen und den Indianern beim besten Willen nicht behaupten lässt – man könnte im Gegenteil sagen: Für sie bedeutete die Gründung der USA den Verlust ihrer Freiheit. Aber auch die Goldgräber in Kalifornien und die Abenteurer, die im Auftrag einer englischen Handelsgesellschaft 1607 im heutigen Virginia landeten, wären gewiss überrascht, sich plötzlich als Freiheitshelden verklärt zu sehen. Es stimmt einen nicht zuversichtlich, wenn ein intelligenter, gutmütiger Mann wie dieser Rechtsanwalt nicht einmal zu merken scheint, was er da sagt. Das Zeitalter der Rassenkonflikte in den Vereinigten Staaten ist noch nicht vorbei.

Fünftes Kapitel Dichtung und Wahrheit
    Texas. »Die stolze Heimat« von Präsident George W. Bush, wie ein Schild an der Grenze verkündet. Gewiss treffe ich bald endlich weitere Anhänger des ungeliebten US-Präsidenten – wenn nicht hier, wo dann? Ich weiß nicht viel von Texas, aber ich habe es mir immer platt und voller Rinder vorgestellt. Was soll ich sagen? Auf den ersten Blick ist es platt und voller Rinder. Auf den zweiten auch.
    Was mich überrascht, sind die riesigen Baumwollfelder entlang der Straße. Die hatte ich – Kinofilme und Romane graben sich tief in Kopf und Herz ein – vor allem in Georgia und Louisiana erwartet, unweit von edlen Herrensitzen, auf denen Frauen wohnen, die aussehen wie die vom Winde verwehte Scarlett O´Hara. Dabei hätte ich es doch wissen müssen: Schließlich erkämpfte sich Texas vor allem deshalb die Unabhängigkeit von Mexiko, weil Mexiko die Sklaverei verboten hatte. So viel zum Thema Freiheit und Gold, Lee Deschamps.
    Gerade ist Erntezeit. Auf manchen Feldern liegen schon riesige Ballen zur Abholung bereit, auf anderen sind die niedrigen Pflanzen noch dicht behängt mit weißen, wattigen Bäuschen. Hier will man keine Menschen pflücken sehen, weder Sklaven noch Freie. Schatten spendende Bäume gibt es nicht und auch keine freundlichen Hügel. Nichts, was wohltut. Nur flaches, unbarmherziges Land. Wenn man je in Versuchung kommt zu vergessen, was für ein Segen die Erfindung mancher Maschinen war – hierher muss man reisen.
    Texas ist fast 700000 Quadratkilometer groß, größer als die Ukraine. John Steinbeck gab zu, sich vor diesem Staat gefürchtet zu haben: »Ist man einmal nach Texas hineingelangt, scheint es eine Ewigkeit zu dauern, bis man wieder draußen ist, und manche Leute schaffen es nie.« Ich habe bereits nach wenigen Stunden das

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