Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
bedeuten, dass sie zumindest einen Teil der Behandlungskosten selbst tragen muss.
Während sie auf die Diagnose und auf die Analyse der eigenen Krankheitsgeschichte wartete, saß Linda zu Hause herum und fühlte sich nutzlos. »Und leer.« Also zwang sie sich, wieder zur Arbeit zu gehen. »Ich hätte das nicht tun sollen, die Schmerzen wurden immer schlimmer. Aber ich habe einfach starke Medikamente genommen.« Am 17. November 2006 fiel sie erneut hin. Danach war auch das zweite Knie kaputt.
Linda zieht die Hosen hoch: Lange Narben und Nähte ziehen sich die Beine herunter. Beide Knie wurden in Operationen ersetzt. Ob und wie viel sie dafür selbst bezahlen muss, weiß sie noch nicht. Irgendwann kam einmal eine Rechnung über 10000 Dollar. Unabwendbare Schulden? Sie hat keine Ahnung.
Linda Moore hat sich einen Rechtsanwalt genommen. Großes Vertrauen in ihn hat sie nicht. Er ruft nicht zurück, und als sie ihn endlich einmal erreichte, fragte er nur: »Was wollen Sie? Wir werden das nicht durchkämpfen.« Immerhin habe ja das Unternehmen der ehemaligen Angestellten bereits 1800 Dollar Abfindung gezahlt. Damit sei die Angelegenheit doch erledigt. Nein, kein Kommafehler: 1800 Dollar. »Ich glaube, ich bin für ihn als Fall einfach nicht lukrativ genug, als dass sich sein Engagement lohnen würde«, meint Linda resigniert.
Am Rande ihres Grundstücks steht jetzt ein Schild: »Zu verkaufen«. Linda und ihr Mann werden demnächst ihr Eigenheim gegen einen Wohnwagen eintauschen. Sie möchte gerne nach Florida ziehen, zur Tochter: »Ich finde, es ist Zeit für uns, das Kapitel abzuschließen und neu anzufangen.« Der Ehemann will hierbleiben. Er arbeitet bei einem Reifenhändler und er hat Angst, woanders keine Anstellung mehr zu finden. Seine Frau hat auch Angst, aber vor etwas anderem: »Ich fände es demütigend, hier, wo mich alle kennen, in einem Trailer-Park zu leben.« Plötzlich bricht es aus ihr heraus: »15 Jahre lang hatte ich einen Job und ein Leben. Dann bin ich hingefallen. Und jetzt?« Jetzt ist sie berufsunfähig. Nur in einem Büro könnte sie noch arbeiten: »Dafür bin ich doch nicht qualifiziert. Ich habe nicht einmal einen High-School-Abschluss.«
Linda möchte mir gerne ihr Haus und ihr Grundstück zeigen. Für einige wenige Augenblicke scheint sie vergessen zu können, dass sie schon in wenigen Wochen hier nicht mehr leben darf. Überraschend jung und sehr hübsch sieht die Frau mit den langen blonden Haaren auf einmal aus, als sie mir den Garten erklärt, den sie hier mitten in der Wüste angelegt hat. Mit Kakteen, liebevoll gestalteten Einfriedungen aus sorgfältig ausgewählten Steinen, sogar Rosenstöcken. »Gottes kleines Paradies habe ich das immer genannt«, sagt sie. Eichhörnchen kämen regelmäßig hierher. Dann beginnt sie zu weinen.
Im Haus steht der kostbarste Schatz von Linda Moore: eine Sammlung von Engeln, teilweise selbst gebastelt, teilweise gekauft. Glas, Tüll, Draht, Rauschgold, Samt. »Wir werden dafür keinen Platz haben im Wohnwagen. Eigentlich wollte ich die Engel heute auch verkaufen. Aber ich kann mich noch nicht trennen.« Ihr katholischer Glaube ist das Einzige, was ihr derzeit Halt und Trost bietet. »Ich will doch nicht klagen. Aber ich empfinde mich nur noch als Last, und ich schäme mich so, dass mein Mann die ganze Bürde alleine tragen muss.«
195000 Dollar sollen Haus und Grundstück einbringen. Gibt es denn schon Interessenten? Ja, sagt Linda Moore zögernd. Möglicherweise sei sogar der Vertrag schon unterzeichnet, genau wisse sie das nicht. Das klingt so, als ob das Ehepaar gar nicht mehr die Kontrolle über die Verkaufsverhandlungen habe. Zwangsversteigerung? Ich frage nicht nach. Man muss auch nicht alles wissen wollen.
Viel Freundlichkeit ist mir schon begegnet auf meiner Reise – aber niemand war je so großzügig wie Linda. Ob ich wirklich nichts essen wolle? Aber wenigstens einen Kaffee dürfe sie mir noch bringen? Vielleicht doch ein ganz kleines Stück Kuchen dazu? Ob ich denn einen Platz zum Schlafen hätte? Sie würde sich freuen, wenn ich heute bei ihnen übernachtete. »Motels sind doch so teuer.« Als ich alle Angebote ablehne, auch kein Picknickpaket will und schon im Auto sitze, humpelt sie noch einmal ins Haus. Dann kommt sie zurück und schenkt mir einen kleinen, orangefarbenen Engel mit Perlenflügeln. »Der soll Sie beschützen.«
Es ist seltsam, dass ich ausgerechnet hier eine so traurige Begegnung habe, denn eigentlich hatte mich
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