Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Gefühl, zu diesen Leuten zu gehören.
Plötzlich taucht ein freundliches Gesicht vor mir auf, vertraut seit Kindertagen. Der dicke Hoss aus der Fernsehserie Bonanza strahlt mich von einem riesigen Plakat an. Hier im Städtchen O´Donnell ist der Schauspieler Dan Blocker aufgewachsen, der schon 1972 im Alter von nur 43 Jahren starb und den trotzdem noch immer Millionen von Menschen lieben. Sein Heimatort hat ihm – so behauptet das Plakat – ein Museum gewidmet. Das möchte ich anschauen.
Nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Ich finde das Museum nicht, obwohl es nur eine einzige Hauptstraße gibt und nicht viel darum herum. Es ist einfach niemand da, den ich nach dem Weg fragen könnte. Wie eine Geisterstadt wirkt O´Donnell, mit Geschäften, deren Türen verrammelt sind, und mit Wohnhäusern, die zu Ruinen verfallen. Nur ein Weihnachtsmann mit US-Fahne und einige Rehe in künstlichem Schnee auf einer kleinen Grünfläche weisen darauf hin, dass irgendjemand hier noch immer wohnen muss.
Seltsam. Texas geht es doch ganz gut. Die Wirtschaft wächst, im Exportgeschäft ist dieser Bundesstaat seit Jahren führend in den USA. Trotz nach wie vor großer Ölreserven und Gasvorräte setzt man auch auf alternative Energien, vor allem auf Windkraft. Große Militärbasen, Luft- und Raumfahrtindustrie, Baumwolle, Getreide und die Rinderzucht garantieren selbst in schwierigen Zeiten beträchtliche Einnahmen. Weshalb entstehen hier Geisterstädte? O´Donnell ist ja nicht der einzige Ort, der verlassen wirkt.
In Eden beispielsweise sieht es noch trübseliger aus. Dabei wirkt nach dem nördlichen »Pfannenstil«, wie die Gegend wegen ihrer Form auf der Landkarte genannt wird, die Landschaft hier in Zentraltexas endlich wieder etwas freundlicher – wenigstens gibt es Bäume. Noch 1954 lebten in Eden etwa 2000 Leute, heute sind es 2500. Offiziell. Allerdings sitzen etwa zwei Drittel der als Einwohner gezählten Personen in dem staatlichen Gefängnis am Stadtrand, das Ende der Achtzigerjahre gebaut worden ist. Anders ausgedrückt: In Wahrheit schrumpft die Bevölkerung dramatisch. Was das für Einzelne bedeutet, verstehe ich erst jetzt.
Im einzigen Café am Ort, das heute geöffnet hat, sitzt die Rancherin Shere Agnew. Sie trägt einen Jogging-Anzug, ist aber sehr sorgfältig geschminkt. Und sie raucht Kette. Rauchen ist in Kneipen und Bars übrigens in viel mehr Bundesstaaten erlaubt, als ich vor meiner Reise gedacht hatte. Was wieder einmal zeigt, wie sehr unser Bild der USA von den beliebten Reisezielen Kalifornien, Florida, New York und von der Hauptstadt Washington geprägt ist. Die Amerikaner haben einen Tunnelblick auf die Welt? Wir auch.
Zurück zu Shere. Wer heute allein in einem Lokal sitzt, bei dem liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen einsamen Menschen handelt. Es ist Thanksgiving, Erntedank, jener Feiertag, an dem in den Vereinigten Staaten traditionell die Familien zusammenkommen. Shere Agnew sagt schnell, dass ihre Söhne sie am Wochenende besuchen werden. Aber heute seien sie eben bei den Eltern der Schwiegertöchter.
Die gepflegte 52-Jährige wirkt traurig und tapfer zugleich. Sie dürfte mit beidem viel Erfahrung haben, mit Trauer und mit Tapferkeit. Die Kinder zog sie alleine groß – der Mann machte sich noch während ihrer zweiten Schwangerschaft aus dem Staub. Danach hatte sie über Jahre hinweg zwei oder drei Jobs gleichzeitig, »um irgendwie den Kopf über Wasser zu halten«. Heute ist sie als Buchhalterin in einer Futtermittelfabrik beschäftigt und arbeitet außerdem auf der Ranch, die sie vor knapp 20 Jahren von ihrem Vater geerbt hat.
Rund 16000 Dollar verdient sie jährlich mit der Rinder- und Schafzucht. Nach Abzug der Betriebskosten. Eine regionale Einkommenssteuer gibt es in Texas nicht. »Ich könnte durchaus ohne weiteren Job von der Farm leben, aber ich habe Angst.« Wegen der Krankenversicherung? Sie verzieht den Mund. »Genau. Ich würde keine haben.« Eigentlich hatte sie vorgesorgt. Die Mieteinnahmen aus zwei kleinen Einfamilienhäusern sollten sie vor Altersarmut schützen. Ein guter Plan. Wenn es denn Mieter gäbe.
Es gibt aber keine. Sobald irgendwo einmal Abwanderung begonnen hat, lässt sich dieser Prozess nur noch schwer aufhalten. Die Infrastruktur verschlechtert sich. Geschäfte, Kinos und Arztpraxen machen zu. Also will niemand mehr dorthin ziehen. Die örtliche Schule ist von der Schließung bedroht. Noch weniger Leute kommen. Nun lassen Häuser sich auch nicht
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