Auf der Suche nach den ältesten Sternen (German Edition)
Eisenhäufigkeit gefunden. Es bleibt nach wie vor spannend, wie diese Geschichte weitergeht und wann (und ob) neue Rekordhalter gefunden werden. Die nächste Generation von Teleskopriesen wird dabei sicher eine Rolle spielen. Denn der stetige Trend zu niedrigeren Metallizitäten über die Jahrzehnte hinweg spiegelt in gewisser Weise den Verlauf der den Astronomen zur Verfügung stehenden Teleskope wider: von kleinen 1 bis 2 m-Teleskopen um 1980 herum zu denen mit Spiegeln von etwa 4 m und dann zu denen mit 6 bis 10 m seit etwa Mitte der 1990er Jahre.
Abb. 10.1 : Die Eisenhäufigkeiten der metallärmsten Sterne, die zu den jeweiligen Zeiten bekannt waren. Die schwarzen Punkte zeigen die ursprünglichen Häufigkeiten laut den Autoren, während die horizontale Linie die heute gängigen Werte angibt.
Wie viele metallarme Sterne sind auf diese Art inzwischen gefunden und beobachtet worden? Von wirklich großen Mengen kann man im Vergleich zu den mehreren hundert Milliarden von Milchstraßensternen natürlich nicht sprechen. Dennoch reflektieren die folgenden Zahlen (Stand 2011) die Erfolgsstory der Stellaren Archäologie, deren Ziel es ist, die Nadeln im galaktischen Heuhaufen zu finden. Hunderte Sterne mit [Fe/H] < –3.0 sind bis heute entdeckt worden, aber nur die ca. 200 hellsten sind mit hochauflösender Spektroskopie beobachtet und analysiert worden. Sterne mit [Fe/H] < –3.5 sind wesentlich seltener, was dazu führt, dass für alle etwa 30 bekannten Exemplare detaillierte Analysen vorliegen. Nur vier Sterne mit [Fe/H]< –4.5 sind bekannt, von denen zwei Sterne [Fe/H] < –5.0 haben. Die bei weitem interessantesten Sterne sind diejenigen, die Metallizitäten von [Fe/H] < –3.5 haben. Denn sie ermöglichen uns die tiefsten Einblicke in die Entstehungsgeschichte des frühen Universums.
Durch alle diese Entdeckungen konnte sich das Gebiet der Stellaren Archäologie besonders in den letzten zehn Jahren sehr entfalten. Dennoch gibt es nach wie vor viele ungeklärte Fragen. Eine von ihnen ist, was genau die niedrigste beobachtbare Metallizität eines Sterns, abgesehen von den metallfreien ersten Sternen, denn sein könnte. Haben wir mit [Fe/H] = –5.4 die untere Grenze schon erreicht, oder können wir vielleicht sogar Sterne mit einem Millionstel der solaren Eisenhäufigkeit ([Fe/H] = –6.0) finden? Nur weiteres Suchen wird diese Frage hoffentlich irgendwann beantworten.
10.2. Helle metallarme Sterne
Die Stichprobe der Hamburg/ESO-Durchmusterung war in schwächere und hellere Sterne aufgeteilt worden. Der damalige Rekordhalter HE 0107–5240 war einer der schwächeren Sterne gewesen und deswegen schon von meinem deutschen Kollegen entdeckt worden. Die Stichprobe der helleren Sterne war mir übergeben worden, um »zu gucken, was sich da so drin befinden würde«. Der Inhalt meiner Doktorarbeit war deshalb die Bearbeitung dieser grob vorselektierten Sternenstichprobe, um die darin enthaltenen metallarmen Sterne zu identifizieren und später weiterzuanalysieren. Obwohl sich diese Aufgabe eigentlich gar nicht so schwierig oder langwierig anhört, fasst dieser eine Satz ca. dreieinhalb Jahre meines Lebens zusammen. Warum sich diese Suche so langwierig und detailreich gestaltete, möchte ich hier schildern.
Wie meistens hat man zu Anfang eines neuen Projekts eine ungefähre Idee, zu welchem Ergebnis man kommen könnte. Denn man braucht diese Aussicht auf ein bestimmtes Ergebnis als Motivation, um ein neues Projekt anzufangen. Nur dann kann man sich mit Enthusiasmus ans Werk machen, denn schließlich kann man bei neuen wissenschaftlichen Tätigkeiten die Lösung nicht hinten im Buchanhang nachschlagen oder den Lehrer fragen. Überhaupt ist bei wissenschaftlichem Arbeiten sehr viel Kreativität gefragt. Man muss sich andauernd vorstellen, wie die Prozesse im Universum ablaufen, denn es gibt ja keine Möglichkeiten, den Kosmos direkt zu studieren. Auch mit Beobachtungen bekommt man in den meisten Fällen nur eine Momentaufnahme einer jeweiligen Situation. Dies erfordert das ständige Aufstellen neuer Hypothesen, die es dann zu testen gilt. Kreativität wird normalerweise mit künstlerischen Berufen in Verbindung gebracht, aber die Wissenschaften wären noch in ihren Kinderschuhen, wenn Forscher über die Jahrhunderte nicht unzählige Ideen gehabt hätten, wie man die Welt und den Kosmos untersuchen und verstehen könnte. Jedes Experiment ist somit ein Kunstwerk, denn es ist die Realisierung einer neuen Idee.
Viele
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