Auf der Suche nach den ältesten Sternen (German Edition)
als Lückenfüller für sein Beobachtungsprogramm am 6,5 m-Magellan-Teleskop in Chile mitgegeben. Kurz darauf war ich zusammen mit meinem Doktorvater zum 4 m-Australian Astronomical Telescope am Siding Spring-Observatorium in Australien unterwegs, um selbst nach r-Prozess-Sternen in meiner Stichprobe zu suchen. In einer dieser Aprilnächte bekam ich dann die ersten bearbeiteten Daten von meinem Bekannten per E-Mail zugeschickt. Während einer langen Belichtung konnte ich es mir nicht verkneifen, die neuen Spektren sofort zu inspizieren. Hoppla-hopp, was ist denn das? Die riesige Europiumlinie haute mich fast aus den Socken. Da so starke Europiumlinien aber durchaus auch bei sehr metallreichen Sternen auftreten können, beschloss ich nervös, schnell einige Tests durchzuführen, um sicherzustellen, dass mein Kandidat auch tatsächlich ein metallarmer Stern war. So weit war dann auch erst einmal alles in Ordnung, und ich wurde ganz aufgeregt. Gemeinsam mit meinem Doktorvater inspizierten wir weitere Regionen im Spektrum, um uns zu vergewissern, dass wir es wirklich mit einem r-Prozess-Stern zu tun hatten.
Dann sahen wir uns an, und eines war klar: Wir saßen in einem Teleskop, wir suchten nach r-Prozess-Sternen, und genau so einer war mir gerade geschickt worden. Zufall? Schicksal? Fügung? Ganz egal, wir beschlossen, den Stern sofort zu beobachten, um ad hoc bessere Daten zu bekommen. Leider war das Wetter von unserem Plan weniger überzeugt. In jener Nacht war es etwas diesig, und alle unsere Versuche, Daten aufzunehmen, die besser als das Magellan-Spektrum meines Bekannten waren, schlugen komplett fehl. In einer Wissenschaft, die vom Wetter abhängt, ist das eben manchmal so. Da kann man dann nur ein paarmal tief Luft holen; ärgern bringt leider gar nichts.
Letztendlich war das schlechte Wetter aber kein wirkliches Hindernis. Denn wieder zu Hause in Canberra angekommen, hatte ich Zeit, eine vorläufige Analyse des Magellan-Spektrums anzufertigen. Mit den Ergebnissen wollte ich mich dann für sofortige Teleskopzeit mit dem Very Large Telescope bewerben. In besonderen Fällen gibt es die Möglichkeit, dort kurzfristig etwas Teleskopzeit zu bekommen, damit man nicht ein ganzes Jahr lang warten muss, bis das Objekt wieder beobachtbar wird. Dieser Antrag wurde dann auch genehmigt. Da aber seit der ersten Beobachtung inzwischen fast drei Monate vergangen waren, war HE 1523–0901 nur noch für kurze Zeit bis Mitte August beobachtbar. Immerhin wurde die Hälfte der beantragten Einzelbeobachtungen im sogenannten Service Mode ausgeführt, bevor der Stern für ein gutes halbes Jahr vollständig hinter dem Horizont verschwand. Daraufhin musste ich dann noch einen weiteren Antrag schreiben, um auch die restliche Teleskopzeit zu erhalten.
Ganz im Sinne von »was lange währt, wird endlich gut« erhielt ich dann den gesamten Datensatz auf einer DVD im folgenden Spätsommer. Das war fast eineinhalb Jahre nachdem der Stern zum ersten Mal von meinem Bekannten beobachtet worden war. Zu dieser Zeit war ich in Uppsala in Schweden, um dort im Astronomie-Department für mehrere Wochen mit Kollegen zu arbeiten. Noch in der gleichen Woche hielt ich einen informellen Vortrag am Freitag zum Nachmittagstee, um meinen dortigen Kollegen vor Ort als Ersten die vorläufigen Ergebnisse zum neuen Spektrum mitzuteilen.
Wie das Schicksal so spielt, stellte sich später heraus, dass sich ein weiterer Stern, den mein Bekannter zusammen mit HE 1523–0901 am Magellan-Teleskop beobachtet hatte, ebenfalls als ziemlich ungewöhnlich und interessant herausstellte: ein kohlenstoffreicher s-Prozess-Stern, der zusätzlich Anzeichen von r-Prozess-Anreicherung aufzeigte. In der Aufregung um HE 1523–0901 war dieser Stern für einige Zeit in Vergessenheit geraten. Als er mir wieder in die Hände fiel, übergab ich ihn schmunzelnd an eine meiner Studentinnen, damit jetzt sie eine Häufigkeitsanalyse anfertigen konnte.
5.4. Nukleare Astrophysik
Die r-Prozess-Sterne bringen die Astrophysik und die Kernphysik auf besondere Weise miteinander in Berührung. Für die Astrophysik sind diese Objekte aufgrund ihres Alters von kosmologischer Bedeutung. Gleichzeitig bilden diese Sterne ein kosmisches Labor, in dem die Nukleosynthese der chemischen Elemente in einzigartiger Weise studiert werden kann. Die stellaren Altersbestimmungen führen diese beiden Forschungsrichtungen zusammen, da sie direkt von unserem kernphysikalischen Wissen zum Aufbau und Verhalten von
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