Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Théâtre-Français nie einen Abend, es wird immer ausgezeichnet gespielt, aber da wir sehr liebenswürdige Freunde haben (Madame Cottard nannte selten einen Namen, sondern sprach immer nur von »sehr lieben Freunden« oder von »einer meiner Freundinnen«, weil sie das »distinguierter« fand, und zwar in einem gekünstelten Ton und mit dem Anspruch einer Person, die Leute eben nur namentlich nennt, wenn sie mag), die oft eine Loge haben und dann auf den guten Gedanken kommen, uns zu den neuen Stücken mitzunehmen, bei denen es sich lohnt, darf ich sicher sein, früher oder später auch Francillon zu sehen und mir selbst meine Meinung darüber bilden zu können. Allerdings muß ich gestehen, daß ich mir im Augenblick recht dumm vorkomme, denn in allen Salons, die ich besuche, ist immer nur von diesem fatalen japanischen Salat die Rede. Man wird es nun schon allmählich leid«, fügte sie mit einem Blick auf Swann hinzu, der für eine so brennend aktuelle Angelegenheit nicht in dem Maße interessiert zu sein schien, wie sie geglaubt hatte. »Allerdings kommt man dabei manchmal auf ganz lustige Gedanken. So hat eine meiner Freundinnen, die, obwohl äußerst hübsch, immer sehr originell ist, immer im Mittelpunkt steht und überall eingeladen wird, behauptet, sie habe bei sich imHause diesen japanischen Salat bereiten lassen, genau mit den Zutaten, die Alexandre Dumas fils in seinem Stück erwähnt. Sie hatte ein paar Freundinnen eingeladen, die ihn essen sollten. Leider war ich nicht unter den Auserwählten. Aber sie hat es uns neulich an ihrem ›Jour‹ erzählt; es scheint abscheulich geschmeckt zu haben, wir haben Tränen gelacht. Aber Sie wissen ja, es kommt immer auf die Art und Weise an, wie man so etwas erzählt«, meinte sie, als sie Swanns immer noch ernste Miene bemerkte.
In der Vermutung, es rühre vielleicht daher, daß er Francillon nicht mochte, setzte sie hinzu:
»Im übrigen glaube ich, ich werde eine Enttäuschung erleben. Ich kann mir nicht denken, daß es so gut ist wie Serge Panine , wofür ja Madame de Crécy so schwärmt. Das ist aber auch ein ernsthaftes Thema, etwas, worüber man nachdenken kann; der Gedanke jedoch, die Bühne des Théâtre-Français zu benutzen, um ein Salatrezept mitzuteilen! Wenn ich da an Serge Panine denke … Es ist ja auch wie alles, was aus Georges Ohnets Feder kommt, so glänzend geschrieben. Ich weiß nicht, ob Sie Le maître de forges 1 kennen, das ich persönlich noch höher schätze als Serge Panine .«
»Sie werden verzeihen«, sagte Swann mit ironisch lächelnder Miene zu ihr, »wenn ich Ihnen gestehe, daß mein Mangel an Bewunderung für die beiden Meisterwerke ungefähr der gleiche ist.«
»Wirklich? Und was haben Sie dagegen einzuwenden? Sind Sie nicht vielleicht voreingenommen? Sind sie Ihnen zu traurig? Ich persönlich meine ja, über Romane und Theaterstücke darf man nie streiten. Jeder hat da seine Ansichten, und Sie finden unter Umständen gräßlich, was mir sehr gut gefällt.«
Sie wurde durch Forcheville unterbrochen, der sich an Swann wandte. Während Madame Cottard von Francillon sprach, hatte Forcheville Madame Verdurin seine Bewunderung für das ausgedrückt, was er den kleinen »Speech« des Malers nannte.
»Dieser Herr hat eine Leichtigkeit der Rede, und ein Gedächtnis dabei«, hatte er zu Madame Verdurin bemerkt, als der Maler geendet hatte, »wie man sie selten trifft! Donnerwetter, ich beneide ihn darum. Er würde einen ausgezeichneten Kanzelredner abgeben. Ich muß schon sagen, Sie haben an ihm und diesem Monsieur Bréchot zwei Nummern, die beide gleich gut sind, ich weiß nicht einmal, ob an bloßer Zungengewandtheit der Maler nicht den Professor noch um eine Nasenlänge schlägt. Es klingt bei ihm alles natürlicher, nicht so gesucht. Er hat ja da nebenher ein paar etwas realistische Ausdrücke gebraucht, aber was wollen Sie, das ist neueste Mode; ich habe jedenfalls selten jemand gesehen, der in dieser Weise loslegen konnte, wie wir beim Militär sagten, wo ich nämlich einen Kameraden hatte, an den dieser Herr mich ein wenig erinnert. Er konnte über jeden beliebigen Gegenstand, dies Glas hier zum Beispiel, stundenlang schwadronieren; nein, nicht über das Glas hier, was sage ich, aber zum Beispiel über die Schlacht bei Waterloo, über was Sie wollen, konnte er auf der Stelle Dinge von sich geben, auf die man niemals gekommen wäre. Swann war übrigens im gleichen Regiment, er muß ihn auch kennen.«
»Sehen Sie Monsieur Swann
Weitere Kostenlose Bücher