Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Nachtwache oder den Vorsteherinnen 1 , und dabei ist er stärker als Rembrandt oder Frans Hals. Es ist alles beisammen, ja doch, mein Wort.«
Und wie die Sänger, wenn sie beim höchsten Ton angelangt sind, den ihre Kehle hergibt, mit Kopfstimmeund piano weitersingen, begnügte er sich jetzt damit, vor sich hinzumurmeln, und unter fortwährenden Heiterkeitsausbrüchen, als sei diese Art von Malerei vor lauter Vollkommenheit schon nur noch komisch zu nehmen, fuhr er fort:
»Das riecht gut, das steigt einem in den Kopf, das nimmt einem den Atem, kitzelt einen, aber weiß der Teufel, wie es zustande gekommen ist; es ist Hexerei, Betrug, ein Mirakel und« – hier platzte er vollends mit seinem Gelächter heraus – »einfach unanständig gut!« Dann hielt er inne, hob gewichtig den Kopf, schlug einen tiefen Baßton an, dem er einen schönen Klang zu verleihen suchte, und setzte hinzu: »Und so grundehrlich gemalt.« 1
Abgesehen von dem Augenblick, wo er gesagt hatte: stärker als die Nachtwache – eine Lästerung, die einen Protest bei Madame Verdurin auslöste, für die die Nachtwache neben der Neunten und der Nike von Samothrake 2 das größte Meisterwerk des Universums war –, und von dem Wort »Kacka«, bei dem Forcheville einen Blick in die Runde warf, um festzustellen, ob der Ausdruck durchging, um gleich darauf ein sprödes, aber konziliantes Lächeln auf seinen Lippen erscheinen zu lassen, hatten alle Tischgäste außer Swann mit verzückt bewundernden Blicken an dem Maler gehangen.
»Wie amüsant er ist, wenn er sich so ins Zeug legt«, rief, als er geendet hatte, Madame Verdurin aus, begeistert, daß ihre Tischgesellschaft gerade an dem Tag sich so interessant ausnahm, wo Monsieur de Forcheville zum ersten Mal zugegen war. »Und du, was sitzt du denn da und staunst wie der Ochs vorm Tor?« fragte sie ihren Mann. »Du weißt doch schließlich, wie glänzend er spricht; man sollte wirklich meinen, er hörte Sie zum erstenmal. Wenn Sie ihn gesehen hätten, während Sie sprachen, er trank jedes Wort förmlich in sich hinein.Und morgen wird er alles wiedererzählen, was Sie gesagt haben, ohne ein einziges Wort zu vergessen.«
»Nein nein, das ist nicht Angeberei!« sagte von seinem Erfolg berauscht der Maler. »Sie scheinen zu glauben, ich gaukle Ihnen etwas vor, alles sei Bluff; ich werde Sie hinführen, und Sie werden selbst entscheiden, ob ich übertrieben habe, ich gebe es Ihnen schriftlich: danach sind Sie mindestens so weg wie ich!«
»Aber wir glauben gar nicht, daß Sie übertreiben, wir möchten nur, daß Sie essen und daß mein Mann ebenfalls ißt; reichen Sie Monsieur noch einmal die Seezunge, Sie sehen doch, daß der Fisch auf seinem Teller kalt geworden ist. Wir haben gar keine Eile, Sie servieren ja, als ob es brennt, warten Sie doch etwas, bevor Sie den Salat anbieten.«
Madame Cottard, die an sich zurückhaltend war und wenig sprach, verfügte gleichwohl über einen gewissen Aplomb, wenn dank einer glücklichen Eingebung ihr das richtige Wort einfiel. Sie wußte, daß es Erfolg haben würde, das stärkte ihr Selbstvertrauen, und was sie dann damit machte, sollte weniger sie selbst ins Zentrum stellen als der Laufbahn ihres Mannes förderlich sein. Sie ließ daher das Wort »Salat«, das Madame Verdurin soeben ausgesprochen hatte, nicht ungenützt passieren.
»Es ist doch kein ›japanischer Salat‹?« warf sie, zu Odette gewendet, mit halblauter Stimme ein.
Entzückt und verwirrt über ihre eigene Schlagfertigkeit und Kühnheit, mit der sie eine so diskrete, aber doch vollkommen eindeutige Anspielung auf das neue aufsehenerregende Stück von Dumas gemacht hatte, brach sie in helles Backfischlachen aus, das zwar nicht sehr geräuschvoll, aber so unwiderstehlich war, daß sie sich ihm ein paar Augenblicke hemmungslos überließ. »Wer ist diese Dame? Sie ist geistreich«, stellte Forcheville fest.
»Nein, aber wir werden Ihnen einen vorsetzen, wenn Sie alle am Freitag zum Abendessen kommen.«
»Ich werde Ihnen sehr provinziell vorkommen, Monsieur«, sagte Madame Cottard zu Swann, »aber ich habe diese berühmte Francillon 1 , von der alle Welt spricht, noch nicht gesehen. Der Doktor ist hingegangen (ich erinnere mich sogar, daß er mir sagte, er habe das besondere Vergnügen gehabt, jenen Abend mit Ihnen zu verbringen), und ich muß gestehen, ich hätte es nicht sehr vernünftig gefunden, wenn er noch einmal Plätze genommen hätte, um es mit mir zu sehen. Natürlich bereut man im
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