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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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wandte er sich an ihn:
    »Sprechen Sie sich nur offen aus, wir sagen es ihnen nicht weiter.«
    Worauf Swann erwiderte:
    »Ich brauche mich doch vor der Herzogin überhaupt nicht zu fürchten (wenn Sie von den La Trémoïlle sprechen). Ich kann Ihnen nur sagen, daß jeder gern ihr Haus besucht. Ich will nicht behaupten, daß sie ›bedeutend‹ ist (er sprach das Wort ›bedeutend‹ aus, als sei es ein lächerliches Wort, denn seine Sprechweise hatte noch Spuren geistiger Gewohnheiten beibehalten, die jene von der Liebe zur Musik geprägte innere Erneuerung ihn zeitweilig hatte aufgeben lassen – er sprach jetzt seine Meinung manchmal mit Wärme aus), aber aufrichtig gesagt, sie ist sehr intelligent und der Herzog im wahrsten Sinne ein gebildeter Mann. Sie sind ganz reizende Menschen.«
    Es ging so weit, daß Madame Verdurin in dem Bewußtsein, durch diesen einen Ungetreuen an der Verwirklichung der inneren Einheit des »kleinen Kreises« gehindert zu werden, aus Wut gegen diesen Starrkopf, der nicht sah, wie sie unter seinen Worten litt, ihm heftig entgegenschleuderte:
    »Finden Sie sie, wie Sie wollen, aber wenigstens sagen Sie es uns nicht!«
    »Es kommt ganz darauf an, was man Intelligenz nennt«, bemerkte Forcheville, der nun seinerseits glänzen wollte. »Kommen Sie, Swann, erklären Sie uns, was verstehen Sie unter intelligent?«
    »Endlich!« rief Odette. »Immer bitte ich ihn, daß er einmal mit mir von solchen bedeutenden Dingen spricht, aber nie will er das.«
    »Aber ja doch …«, protestierte Swann.
    »Alles Angabe! Das ist nicht wahr«, rief Odette.
    »Angabe der Adresse?« fragte der Doktor zurück.
    »Besteht für Sie«, fragte Forcheville, »die Intelligenz in dem mondänen Geschwätz der Leute, die sich beliebt machen wollen?«
    »Essen Sie lieber Ihren Nachtisch, damit Ihr Teller abgeräumt werden kann«, bemerkte Madame Verdurin in scharfem Ton zu Saniette hin, der, in Nachdenken versunken, zu essen aufgehört hatte. Dann schämte sie sich wohl selbst ihres Tons und setzte versöhnlich hinzu: »Es macht natürlich nichts, Sie haben Zeit, ich meinte nur der anderen wegen, es hält das Servieren so auf.«
    »Es gibt da«, sagte Brichot, indem er jede Silbe einzeln skandierte, »eine sehr bemerkenswerte Definition der Intelligenz bei diesem anarchistischen Leisetreter Fénelon 1 …«
    »Achtung!« ermahnte Madame Verdurin Forcheville und den Doktor, »jetzt kommt die Definition der Intelligenz bei Fénelon, das ist interessant, man hat nicht alle Tage Gelegenheit, so etwas zu hören.«
    Brichot aber wartete erst noch auf die von Swann. Doch dieser reagierte nicht und brachte dadurch das brillante Wortgefecht zum Scheitern, das Madame Verdurin ihrem Gast Forcheville so gern vorgeführt hätte.
    »Natürlich, jetzt macht er es wieder wie mit mir«, rief Odette mißgelaunt, »es ist mir nur lieb zu sehen, daß ich nicht die einzige bin, zu der er sich nicht herabläßt, über so etwas zu sprechen.«
    »Diese de La Trémouaille 2 , die uns Madame Verdurin als so wenig empfehlenswert hinstellt«, fragte Brichot wieder mit starker Markierung der Silben, »sind dasNachkommen von denen, die diese gute snobistische Sévigné so gerne kennenlernen wollte, weil es vor ihren Bauern trefflich aussehen würde? 1 Sicherlich hatte die Marquise auch noch einen anderen Grund, denn da sie die Seele eines Blaustrumpfs besaß, ging ihr ein Stoff zum Schreiben über alles andere. In dem Tagebuch aber, das sie regelmäßig ihrer Tochter schickte, figuriert Madame de La Trémouaille als eine Person, die durch ihre ausgezeichneten verwandtschaftlichen Beziehungen über alles auf dem laufenden ist und die ganze auswärtige Politik bestimmt.«
    »Nein, nein, ich glaube nicht, daß das dieselbe Familie ist«, warf Madame Verdurin aufs Geratewohl ein.
    Saniette, der, nachdem er überstürzt dem Diener seinen noch vollen Teller übergeben hatte, von neuem in brütendes Schweigen versunken war, tauchte schließlich daraus auf, indem er lachend eine Geschichte von einem Diner mit dem Herzog von La Trémoïlle erzählte, bei dem dieser nicht gewußt habe, daß George Sand das Pseudonym einer Frau sei. Swann, der eine gewisse Sympathie für Saniette hegte, glaubte ihm über die geistige Bildung des Herzogs Details geben zu sollen, aus denen hervorging, daß eine solche Unwissenheit von dessen Seite praktisch unmöglich sei; plötzlich aber stockte er, denn er begriff, daß Saniette gar keine Beweise brauche, sondern selbst sehr

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