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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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oft?« fragte Madame Verdurin.
    »O nein«, antwortete Monsieur de Forcheville, und da er, in der Absicht, sich Odette leichter zu nähern, zu Swann liebenswürdig sein und die Gelegenheit, ihm zu schmeicheln, nicht außer acht lassen wollte, gedachte er von dessen gesellschaftlichen Beziehungen zu sprechen, allerdings im freundlich kritischen Ton eines Weltmanns und nicht, als beglückwünsche er ihn dazu wie zueinem unverhofften Erfolg; er rief ihm also zu: »Nicht wahr, Swann, ich sehe Sie nie? Wie soll man ihn auch sehen. Dieser Kerl steckt ja die ganze Zeit bei den La Trémoïlle 1 , den des Laumes et cetera…« Eine Unterstellung, die um so irriger war, als seit einem Jahr ungefähr Swann kaum noch woanders hinging als zu den Verdurins. Doch bereits die Erwähnung von ihnen unbekannten Personen wurde bei diesen mit einem Schweigen der Mißbilligung aufgenommen. Monsieur Verdurin, der den peinlichen Eindruck fürchtete, den Namen von »Langweilern«, noch dazu in dieser taktlosen Weise im Angesicht aller Getreuen vorgebracht, auf seine Frau machen könnten, warf ihr verstohlen einen äußerst besorgten Blick zu. Er sah sofort, daß sie unter allen Umständen entschlossen war, keine Notiz davon zu nehmen, ja sich von der ihr zu Ohren kommenden Neuigkeit nicht tangieren zu lassen, nicht einmal dazu zu schweigen, sondern sie einfach nicht gehört zu haben, so wie wir es machen, wenn ein Freund, der einen Fehler begangen hat, in die Unterhaltung eine Entschuldigung einfließen läßt, die, nähme man sie einfach unwidersprochen hin, man gelten zu lassen schiene, oder wenn man vor uns den verpönten Namen eines Undankbaren erwähnt, und daß sie demzufolge, damit ihr Schweigen nicht nach Beistimmung aussähe, sondern nur den Charakter des nichtwissenden Schweigens der leblosen Dinge hätte, aus ihrem Gesicht jegliches Leben, jegliches Bewegungsvermögen verbannt hatte; ihre gewölbte Stirn war nur mehr eine schöne Studie von einer Schädelbuckelung, in die der Name jener La Trémoïlle, bei denen Swann sich unaufhörlich aufhielt, nicht hatte eindringen können; ihre leicht gerümpfte Nase ließ eine Einbuchtung erkennen, die dem Leben nachgebildet zu sein schien. Man hätte meinen können, ihr halbgeöffneter Mund wolle gleich sprechen. Ihr Gesicht war nurnoch ein Wachsabdruck, eine Gipsmaske, eine Bildnisstudie für ein Baudenkmal, eine Büste für das Palais de l’Industrie 1 , vor der das Publikum sich wahrscheinlich in Bewunderung darüber stauen würde, welche nahezu päpstliche Majestät der Künstler in seinem Bemühen, die unverjährbare Würde der Verdurins im Gegensatz zu der der La Trémoïlle oder des Laumes auszudrücken, denen sie sicher ebensogut wie allen Langweilern der Erde das Wasser reichen konnten, der Weiße und Strenge des Steins hatte aufprägen können. Schließlich aber kam Leben in den Marmor, und man vernahm, daß einem schon wirklich vor gar nichts grausen müsse, wenn man zu diesen Leuten ging, denn die Frau sei immer betrunken und der Mann so dumm, daß er Kollidor anstatt Korridor sage.
    »Man könnte mir noch etwas dazu geben, ich würde so etwas hier bei mir nie empfangen«, schloß Madame Verdurin mit einem zurechtweisenden Blick auf Swann.
    Freilich konnte sie nicht hoffen, er werde die Unterwerfung so weit treiben, wie es die Tante des Pianisten in frommer Unschuld tat, als sie in die Worte ausbrach:
    »Haben Sie so etwas schon gehört? Man wundert sich wahrhaftig, daß es noch Leute gibt, die mit denen reden! Ich glaube, ich hätte geradezu Angst, wie leicht kann da etwas passieren! Wie können nur Leute so unvernünftig sein, solchen Menschen auch noch nachzulaufen.«
    Warum aber antwortete er nicht wenigstens wie Forcheville: »Mein Gott, sie ist eine Herzogin! Es gibt eben Leute, denen das noch Eindruck macht!«, was Madame Verdurin Gelegenheit gab zu entgegnen: »Mögen sie glücklich werden damit!« Statt dessen begnügte sich Swann mit einem Lächeln, das offenbar besagte, solche Behauptungen seien zu extravagant, um sie überhaupt ernst zu nehmen. Monsieur Verdurin, der weiter heimlich den Blick an seiner Frau hängen ließ, stellte mitBedauern und vollstem Verständnis fest, daß in ihr der Zorn eines Großinquisitors wütete, dem es nicht gelingt, die Ketzerei auszurotten; und um möglicherweise Swann zu einem ausdrücklichen Widerruf zu bewegen, da der Mut der eigenen Meinung denen, in deren Gegenwart man sich dazu bekennt, immer als feige Berechnung erscheint,

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