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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Range Forchevilles gleichzeitig ihren Geist und ihre unumschränkte Macht über die Getreuen zu beweisen.
    »Monsieur de Forcheville hat mir gerade Schlimmes über dich gesagt«, empfing Madame Cottard ihren Mann, der soeben den Salon betrat.
    Worauf er, noch ganz befangen in der Vorstellung, die ihn seit Beginn des Abends beherrschte, nämlich daß Forchville ja »adlig« sei, zu ihm sagte:
    »Ich behandle zur Zeit eine Baronin, eine Baronin Putbus 1 ; die Putbus waren doch schon bei den Kreuzzügen dabei, nicht wahr? In Pommern habe sie einen See, der zehnmal so groß ist wie die Place de la Concorde. Ich behandle sie wegen ihrer Gicht, sie ist eine reizende Dame. Übrigens kennt sie auch Madame Verdurin, glaube ich.«
    Das hatte zur Folge, daß Forcheville, als er sich einen Augenblick darauf wieder allein mit Madame Cottard befand, das günstige Urteil über ihren Mann noch etwas abrunden konnte:
    »Er ist außerdem interessant, man sieht, er kommt unter die Leute. Ja, diese Ärzte haben es gut, die sammeln Erfahrungen.«
    »Ich werde das Thema aus der Sonate für Monsieur Swann spielen«, sagte der Pianist.
    »Teufel, das wird doch nicht auch so eine Schlange wie die Kreuzottersonate sein?« fragte Forcheville, um ebenfalls einen Geistesblitz von sich zu geben.
    Dem Doktor war dieses Wortspiel neu, er verstand esnicht und meinte, Forcheville habe sich geirrt. Er trat rasch neben ihn und berichtigte:
    »Aber es heißt doch nicht Kreuzottersonate, sondern Kreutzersonate«, flüsterte er ihm eifrig, ungeduldig und gleichzeitig triumphierend zu.
    Forcheville erklärte ihm den Witz. Der Doktor wurde rot.
    »Sie müssen doch zugeben, Doktor, daß er gut ist, oder nicht?«
    »Ach, den kenne ich seit langem«, entgegnete der Doktor.
    Dann aber schwiegen sie; unter dem Beben der Geigentremoli, die es mit ihren langausgehaltenen, zwei Oktaven höher vibrierenden Klängen beschützten – und wie man in einer Gebirgslandschaft hinter der schwindelerregenden scheinbaren Unbeweglichkeit eines Wasserfalls zweihundert Fuß tiefer die winzige Gestalt einer Spaziergängerin erblickt –, war soeben das kleine Thema erschienen, weit in der Ferne, doch voller Liebreiz und beschützt von dem unaufhörlichen Niederströmen des durchscheinenden, andauernden und klingenden Vorhangs. Und in seinem Herzen wandte sich Swann ihm zu wie einer Vertrauten seiner Liebe, wie einer Freundin Odettes, die ihr doch sagen sollte, auf diesen Forcheville nicht achtzugeben.
    »Ah, sieh da! Sie kommen aber spät«, sagte Madame Verdurin zu einem Getreuen, den sie erst für »nach Tisch« eingeladen hatte, »wir haben heute ›einen‹ unvergleichlichen Brichot gehabt, einen Meister der Eloquenz! Doch er ist schon fort. Nicht wahr, Monsieur Swann? Ich glaube, Sie sind ihm heute zum erstenmal begegnet«, setzte sie hinzu, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er diese Bekanntschaft einzig ihr verdanke. »Nicht wahr, er war doch köstlich, unser Brichot?«
    Swann verbeugte sich höflich.
    »Nein? Hat er Sie nicht interessiert?« fragte Madame Verdurin sehr kühl.
    »Aber doch, gnädige Frau, gewiß, ich war entzückt. Er ist vielleicht für meinen Geschmack ein bißchen zu selbstsicher und zu jovial. Mir wäre es lieber, er würde mit seinem Urteil etwas mehr zögern und etwas milder sein, aber er weiß offenbar so viel und scheint wirklich ein trefflicher Mann zu sein.«
    Man brach allgemein sehr spät auf.
    »Ich habe selten Madame Verdurin so in Fahrt gesehen wie heute abend«, waren die ersten Worte, die Cottard an seine Frau richtete.
    »Wer ist eigentlich diese Madame Verdurin? Bißchen halbseiden, was?« fragte Forcheville den Maler, dem er vorgeschlagen hatte, mit zu ihm einzusteigen.
    Odette sah ihn mit Bedauern scheiden, sie wagte nicht, Swann allein nach Hause fahren zu lassen, doch im Wagen war sie schlecht gelaunt, und als er fragte, ob er noch mit zu ihr kommen solle, sagte sie ihr »Selbstverständlich« mit einem Achselzucken der Ungeduld. Als alle Gäste gegangen waren, bemerkte Madame Verdurin ihrem Mann gegenüber:
    »Hast du gesehen, wie albern Swann gelacht hat, als wir von Madame La Trémoïlle gesprochen haben?«
    Sie hatte festgestellt, daß Swann und Forcheville mehrmals vor diesem Namen das »de« ausgelassen hatten. Da sie nicht daran zweifelte, daß sie damit nur ihre Unabhängigkeit gegenüber Titeln demonstrieren wollten, wollte sie deren Kühnheit nachahmen, hatte aber nicht recht begriffen, durch welche grammatikalische

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