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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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auf einer Gesellschaft, zu der er ebenso wie sie eingeladen war – bei Forcheville, bei dem Maler oder auf einem Wohltätigkeitsfest in einem Ministerium –, sich zur gleichen Zeit befand wie sie. Er sah sie dann, wagteaber nicht dazubleiben, aus Furcht, sie könne ärgerlich sein, weil es so aussähe, als wolle er sie bei Vergnügungen beobachten, die sie mit anderen teilte, und die ihm – während er sich in tiefer Unruhe zu Bett begab, so wie ich ein paar Jahre später, wenn er bei uns in Combray zu Abend aß – grenzenlos erschienen, da er ja ihr Ende nicht sah. Ein- oder zweimal aber erlebte er an solchen Abenden Freuden von der Art, daß man, weil sie Besänftigung mit sich bringen, versucht sein könnte, sie als ruhiges Glück zu bezeichnen, wenn sie nicht mit solcher Heftigkeit die Auswirkungen der plötzlich unterbrochenen Beunruhigung erleiden würden. Er hatte sich bei einem Rout des Malers kurz gezeigt und wollte gerade gehen; Odette ließ er bei diesem Fest als eine strahlende Fremde umgeben von Männern zurück, denen ihre Blicke und ihre Heiterkeit, die nicht für ihn bestimmt waren, gewisse Freuden zu verheißen schienen, zu denen es hier oder anderswo (vielleicht später auf dem Bal des Incohérents 1 , wie er zitternd befürchtete) kommen würde und die bei Swann mehr Eifersucht wachriefen als die körperliche Vereinigung selbst, weil er sie sich schwerer vorzustellen vermochte; er war schon an der Tür des Ateliers, als er sich zurückgerufen hörte, und zwar mit den folgenden Worten (die, indem sie das Fest eben um jenes Ende verkürzten, das ihm so furchtbar war, es rückblickend harmlos und Odettes Heimfahrt aus einer unbegreiflichen und erschreckenden zu einer traulichen und bekannten Sache machten, die er neben sich in seinem Wagen verspüren würde als ein Stück Alltagsleben, und die sogar Odette selbst weniger strahlend und heiter und ihr ganzes Auftreten nur als eine Verkleidung erscheinen ließen, die sie einen Augenblick lang gezwungenermaßen und nicht im Hinblick auf rätselhafte Vergnügungen, und deren sie offenbar schon müde war, angelegt hätte), die Odette ihm nachsandte,als er bereits auf der Schwelle war: »Können Sie nicht vielleicht noch fünf Minuten warten, ich gehe nämlich auch, dann könnten wir zusammen fahren, und Sie würden mich nach Hause bringen?«
    Allerdings hatte Forcheville einmal gebeten, gleichfalls mitgenommen zu werden, als er aber, vor Odettes Tür angelangt, um die Erlaubnis nachgesucht hatte, mit hereinkommen zu dürfen, hatte Odette ihm auf Swann verweisend gesagt: »Ja, wissen Sie, das hängt von diesem Herrn hier ab, da müssen Sie schon ihn fragen! Gut, kommen Sie auf einen Sprung, wenn sie wollen, aber nicht lange, denn ich sage Ihnen gleich, er plaudert am liebsten ganz ungestört mit mir und hat nicht gern, daß gleichzeitig mit ihm andere Besucher da sind. Ach! wenn Sie diesen Mann so kennen würden wie ich! Nicht wahr, my love , nur ich kenne Sie ganz genau?«

Swann war dann vielleicht noch mehr als über diese vor Forcheville an ihn gerichteten Worte der Zärtlichkeit, der betonten Vorliebe über eine gewisse Kritik gerührt wie etwa: »Ich bin sicher, Sie haben Ihren Freunden noch nicht wegen des Diners am Sonntag geschrieben. Gehen Sie nicht hin, wenn Sie nicht mögen, aber höflich sollten Sie wenigstens sein« oder: »Haben Sie auch Ihren Essay über Vermeer hier gelassen, damit Sie morgen ein bißchen daran weiterarbeiten? Nein, wie faul ist doch dieser Mann! Ich werde Sie zum Arbeiten bringen, Sie werden sehen!«, die bewiesen, daß Odette genau über seine gesellschaftlichen Verpflichtungen und seine Kunststudien auf dem laufenden war, daß sie beide eine Art von gemeinsamem Leben führten. Während sie so sprach, schenkte sie ihm ein Lächeln, mit dem sie ihm ganz zu gehören schien.
    In solchen Augenblicken, während sie ihnen eine Orangeade bereitete, geschah etwas, wie wenn ein schlecht eingestellter Reflektor zunächst umirgendeinen Gegenstand herum auf der Wand große phantastische Schatten entstehen läßt, die sich dann zusammenschieben und ganz in ihn hineinschlüpfen: alle die furchterregenden, sich wandelnden Vorstellungen, die Swann sich von Odette machte, schwanden dahin und wurden wieder eins mit der reizvollen Gestalt, die er vor sich sah. Er hatte dann ganz kurz eine Vision, als sei diese bei Odette im sanften Licht der Lampe verbrachte Stunde nicht eine künstliche Veranstaltung für ihn (dazu bestimmt, jene

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