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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Abend, als Forcheville Saniette aus dem Haus der Verdurins vertrieb, auf ihn gewiesen und dabei gesagt: »Jetzt ist er aber wütend! Nicht?«
    Dann verabscheute Swann Odette. Ich bin ja auch zu dumm, sagte er sich, ich zahle mit meinem Geld das Vergnügen der anderen. Sie wird freilich gut daran tun, den Bogen nicht zu überspannen, denn es könnte dann so weit kommen, daß ich ihr nichts mehr gebe. Auf alle Fälle werde ich im voraus schon einmal alle zusätzlichen Freundlichkeiten unterlassen! Wenn ich denke, daß ich gestern erst, als sie davon sprach, sie habe Lust, eine Saison in Bayreuth 2 mitzumachen, so einfältig war, ihrvorzuschlagen, ich könne ja für uns beide eines der hübschen Schlösser des Königs von Bayern in der Umgebung mieten! Dabei schien sie noch nicht einmal so besonders entzückt, sie hat weder ja noch nein gesagt; ich kann nur hoffen, sie verzichtet darauf, großer Gott! Vierzehn Tage lang Wagner mit ihr zu hören, die so viel davon versteht wie die Kuh vom Zitherspielen, das wäre ein Genuß! Und da sein Haß wie seine Liebe nach einer Entladung drängten, gefiel er sich darin, seine Einbildungskraft auch im Bösen immer weiter zu stimulieren, weil er dann, je mehr Perfidien von Odettes Seite er sich vorstellte, desto größeren Abscheu empfand, und wenn sie – wie er sich auszumalen versuchte – in Wirklichkeit vorhanden wären, er eine Gelegenheit fände, sie zu strafen und seinem wachsenden Groll Genüge zu tun. So ging er also so weit, sich vorzustellen, er bekäme einen Brief von ihr, in dem sie ihn bäte, ihr das Geld für die Miete dieses Schlosses bei Bayreuth zur Verfügung zu stellen, ihn aber gleichzeitig davon in Kenntnis setzte, daß er selbst nicht mitkommen könne, weil sie Forcheville und den Verdurins versprochen habe, sie zu sich einzuladen. Oh! Wie gern hätte er gesehen, sie brächte diese Kühnheit auf ! Welch innige Freude wäre es für ihn, abzulehnen und eine gehässige Antwort abzufassen, deren einzelne Wendungen er bereits mit Behagen auswählte und vor sich hinsagte, als habe er jenen Brief in Wirklichkeit schon erhalten!
    Am folgenden Tage traf er ein. Sie schrieb ihm, die Verdurins und ihre Freunde hätten den Wunsch geäußert, den Wagneraufführungen beizuwohnen, und wenn er ihr das Geld schicken wollte, hätte sie endlich einmal, nachdem sie so oft ihr Gast gewesen sei, das Vergnügen, sie ihrerseits einzuladen. Ihn selbst erwähnte sie mit keinem Wort, sie betrachtete es als selbstverständlich, daß die Gegenwart der anderen die seine ausschloß.
    Da hatte er nun also Gelegenheit, die schreckliche Antwort, von der er am Abend zuvor jedes Wort festgelegt hatte, ohne daß er zu hoffen wagte, er werde sie jemals verwenden können, ihr überbringen zu lassen. Ach! Er konnte sich freilich sagen, daß sie mit dem Geld, das sie hatte oder doch leicht auftreiben konnte, sehr wohl imstande wäre, in Bayreuth irgendein Haus zu mieten, wenn sie Lust dazu hätte, ausgerechnet sie, die nicht fähig war, Bach von Clapisson 1 zu unterscheiden. Immerhin würde sie dort etwas weniger üppig leben als sonst. Sie könnte dann nicht, wie es der Fall gewesen wäre, wenn er ihr ein paar tausend Francs geschickt hätte, jeden Abend in einem Schloß solch elegante Soupers arrangieren, nach denen sie sich vielleicht einfallen ließe – was sie möglicherweise bisher noch nicht getan hatte –, Forcheville in die Arme zu sinken. Jedenfalls würde nicht er, Swann, diese verhaßte Reise bezahlen! – Oh, daß er sie verhindern könnte! Wenn sie sich doch den Fuß vor der Abfahrt verstauchte, wenn doch der Kutscher, der sie mit dem Wagen zum Bahnhof bringen sollte, um irgendeinen Preis dafür zu haben wäre, sie an einem Ort abzusetzen, wo man sie für einige Zeit einsperren könnte, diese hinterhältige Person mit dem komplizenhaften Lächeln für Forcheville in ihren gleißenden Emailaugen, die Odette seit achtundvierzig Stunden in Swanns Meinung geworden war!
    Doch war sie es nie sehr lange; nach ein paar Tagen bereits verlor der schillernde, arglistige Ausdruck ihrer Augen seinen hinterhältigen Glanz, das Bild einer verhaßten Odette, die zu Forcheville sagte: »Jetzt ist er aber wütend!«, begann zu verblassen und schließlich ganz zu verschwinden. Statt dessen kam allmählich wieder sanft schimmernd das Antlitz der anderen Odette zum Vorschein, der Odette, die auch ein Lächeln an Forcheville wendete, ein Lächeln aber, in dem für Swann nurZärtlichkeit lag, wenn sie

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