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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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hatten, ihm sicherlich dankbar sein.
    Wenn er ihr also – anstatt daß sie entzweit mit ihm und ohne ihn wiedergesehen zu haben abreiste – das Geld schickte, sie zu dieser Reise ermunterte und sich bemühte, sie ihr möglichst angenehm zu gestalten, würde sie strahlend und dankbar zu ihm eilen, er würde die Freude haben, sie zu sehen, die ihm jetzt schon fast eine Woche versagt geblieben und durch nichts zu ersetzen war. Denn sobald Swann sie sich wieder ohne Grauen vorzustellen vermochte, sobald er von neuem das Lächeln der Güte auf ihrem Antlitz im Geist vor sich sah und nicht durch Eifersucht der Wunsch, sie jedem anderen wegzunehmen, seiner Liebe beigemischt war, bestand diese Liebe vor allem wieder aus dem Geschmack an den Empfindungen, die Odettes Person in ihm wachrief, an der Lust, die darin bestand, das Heben ihres Blicks, die Art ihres Lächelns und den Tonfall ihrer Stimme wie ein Schauspiel zu bewundern und wie ein Naturphänomen zu erforschen. Diese Lust, die sich von allen anderen so sehr unterschied, hatte schließlich in ihm ein Bedürfnis nach Odette geschaffen, das sie allein durch ihre Gegenwart oder ihre Briefe befriedigenkonnte, ein Bedürfnis, das fast ebenso uneigennützig, ebenso künstlerisch, ebenso pervers war wie ein anderes, das für Swann in diesem neuen Lebensabschnitt charakteristisch wurde, in dem auf die innere Dürre und Depression der letzten Jahre eine übermäßige geistige Gespanntheit gefolgt war, wobei er ebensowenig wußte, welchem Umstand er diese unerwartete Bereicherung seines Lebens zu verdanken hatte, wie etwa eine Person von zarter Gesundheit, die von einem gewissen Zeitpunkt an zunimmt, kräftiger wird und eine Zeitlang völliger Genesung entgegenzugehen scheint: Jenes andere Bedürfnis, das sich ebenfalls außerhalb der wirklichen Welt entfaltete, war das, Musik zu hören, Musik kennenzulernen.
    So fing er gemäß dem Chemismus seiner Krankheit, nachdem er mit seiner Liebe Eifersucht hergestellt hatte, von neuem an, Zärtlichkeit und Mitleid für Odette zu produzieren. Sie war wieder die bezaubernde und gute Odette geworden. Er empfand Gewissensbisse, daß er so hart mit ihr umgegangen war. Er wünschte sich, daß sie zu ihm käme, zuvor aber wollte er ihr eine Freude machen, um Dankbarkeit ihren Ausdruck bestimmen und ihr Lächeln formen zu sehen.
    Daher machte es sich denn auch Odette, da sie gewiß war, ihn nach ein paar Tagen so ergeben und zärtlich wie vorher und auf Versöhnung bedacht wiederzusehen, zur Gewohnheit, ohne alle Angst, ihm zu mißfallen oder ihn zu kränken, wenn es ihr gerade so paßte, ihm die Gunstbezeigungen vorzuenthalten, an denen ihm am meisten lag.
    Vielleicht wußte sie nicht, wie aufrichtig er ihr gegenüber im Augenblick des Bruchs gewesen war, als er ihr gesagt hatte, daß er ihr kein Geld schicken und versuchen werde, ihr Schwierigkeiten zu machen. Vielleicht wußte sie ebensowenig, wie sehr er es – wenn nicht ihr,so doch sich selbst gegenüber – in anderen Fällen war, wo er im Interesse der Fortführung ihrer Beziehung Odette zeigen wollte, daß er durchaus imstande sei, auf den Umgang mit ihr zu verzichten, und ein Bruch immer möglich, und daraufhin beschloß, eine Zeitlang nicht zu ihr zu gehen.
    Manchmal war das gerade nach ein paar Tagen, wo sie ihm keinen neuen Verdruß bereitet hatte; dann wußte er, daß er aus seinen nächsten Besuchen keine große Beglückung, sondern wahrscheinlich nur irgendwelchen Kummer ziehen würde, der seiner wiedererrungenen Ruhe vermutlich ein Ende bereitete, und schrieb ihr, er sei sehr beschäftigt und könne sie an keinem der Tage sehen, die er ihr vorgeschlagen habe. Nun aber kreuzte sich mit dem seinen ein Brief von ihr, in dem sie ihn ausgerechnet bat, das Rendezvous zu verschieben. Er fragte sich, weshalb; Argwohn und Schmerz suchten ihn wieder heim. In dem neuen Zustand der Erregung vermochte er den in dem vorausgehenden Zustand relativer Ruhe gefaßten Entschluß nicht einzuhalten, eilte zu ihr und verlangte, sie nun an sämtlichen folgenden Tagen zu sehen. Und sogar wenn sie nicht von sich aus schrieb, sondern ihm nur antwortete und seinem Ansinnen einer kurzen Trennung zustimmte, genügte das, damit er es nicht mehr aushalten konnte, ohne sie zu sehen. Denn entgegen Swanns Annahme hatte Odettes Zustimmung alles in ihm verändert. Wie alle Menschen, die eine Sache besitzen, hatte er, nur um festzustellen, was wäre, wenn er sie plötzlich nicht mehr besäße, versucht, sie aus

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