Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
kennen würde … aber ich kenne sie nicht! Als ich klein war, hat man mir gesagt, es sei nicht artig, zu Leuten zu gehen, die man nicht kennt«, fügte sie mit affektierter Kinderstimme hinzu. »Ich tue nur, was mir gesagtworden ist. Können Sie sich die guten Leute vorstellen, wenn sie plötzlich jemand zu sich hereinkommen sähen, den sie gar nicht kennen? Sie würden mich vielleicht sehr wenig nett empfangen!« sagte die Fürstin.
    Aus Koketterie verschönte sie das Lächeln, das diese Vorstellung ihr entlockte, und fügte ihrem blauen, auf den General gehefteten Blick eine sanfte, träumerische Nuance bei.
    »Oh, was das anbelangt … Sie wissen ganz genau, Fürstin, sie wären vor Freude außer sich …«
    »Aber nicht doch, weshalb denn?« fiel sie ihm lebhaft ins Wort; entweder wollte sie so tun, als wüßte sie nicht, daß es so sei, weil sie eben eine der ganz großen Damen von Frankreich war, oder weil sie es gern von dem General noch einmal hören wollte. »Weshalb? Wie wollen Sie das denn wissen? Es wäre Ihnen vielleicht denkbar unangenehm. Ich weiß nicht, mir selbst zum Beispiel ist es schon unangenehm, wenn ich die Leute sehen muß, die ich kenne; ich glaube, wenn ich nun auch noch die, die ich nicht kenne, sehen müßte, und wenn es ›Helden‹ sind, würde ich verrückt. Außerdem, wissen Sie, wenn es sich nicht um alte Freunde wie Sie handelt, die man ohnehin kennt, glaube ich nicht, daß Heldentum in Gesellschaft etwas besonders Handliches ist. Schon so langweilt es mich häufig, wenn ich Diners bei mir arrangieren muß, aber wenn ich mich dabei auch noch von Spartacus sollte zu Tisch führen lassen … Nein, nein, Vercingetorix würde ich nicht mal einladen, wenn wir dreizehn wären. Höchstens bei ganz großen Soireen. Und da ich die nicht gebe …«
    »Ah, Fürstin, nicht umsonst sind Sie eine Guermantes. Sie haben wirklich den Esprit der Guermantes!«
    »Man sagt immer, der Esprit der Guermantes, ich weiß eigentlich nicht, warum. Sie kennen also auch andere , die welchen haben«, fügte sie mit einemperlenden Lachen der Ausgelassenheit hinzu; ihre Züge lagen gesammelt unter dem feinen Netz ihrer angeregten Stimmung, ihre Augen blitzten, aufglänzend in einem sonnigen Strahlen von Heiterkeit, das einzig bei den Bemerkungen ausbrach, die – und kämen sie aus ihrem eigenen Munde – zum Lobe ihres Geistes und ihrer Schönheit vorgebracht wurden. »Schauen Sie, da ist Swann, es sieht so aus, als begrüße er Ihre Cambremer; da … jetzt steht er neben der alten Saint-Euverte, sehen Sie denn nicht! Bitten Sie ihn doch, daß er Sie bekannt macht mit ihr. Aber beeilen Sie sich, er will offenbar gerade gehen!«
    »Haben Sie bemerkt«, sagte der General, »wie furchtbar schlecht er aussieht?«
    »Mein lieber kleiner Charles! Ach, endlich kommt er, ich glaubte schon, er wolle mich nicht sehen!«
    Swann mochte die Fürstin des Laumes sehr gern, außerdem erinnerte ihn ihr Anblick immer an Guermantes, einen Besitz unmittelbar bei Combray, und an jene ganze Landschaft, an der er so sehr hing und in der er sich nie mehr aufhielt, weil er sich von Odette nicht entfernen wollte. Unter Verwendung der Formen jenes halb künstlerischen, halb galanten Jargons, mit denen er der Fürstin zu gefallen wußte und die er ganz natürlich wiederfand, wenn er einen Augenblick in sein altes Milieu eintauchte – und im Bestreben, seiner Sehnsucht nach dem Land Ausdruck zu geben, rief Swann aus, wobei er gleichsam in die Kulisse sprach, um ebenso von Madame de Saint-Euverte, mit der er, wie von Madame des Laumes, für die er sprach, gehört zu werden:
    »Ach, da ist ja die bezaubernde Fürstin. Sehen Sie nur, sie ist, um die Vogelpredigt von Liszt zu hören, wie eine reizende kleine Meise eigens aus Guermantes herübergeflattert und hat nur noch gerade Zeit gehabt, ein paar Vogelkirschen und Weißdornbeeren mit ein paarTautröpfchen und ein bißchen Reif, über den die Herzogin sicher klagt, für ihr Haar abzupflücken. Das sieht wirklich sehr hübsch aus, liebe Fürstin.«
    »Wie? Die Fürstin ist von Guermantes eigens hergekommen! Das ist mehr, als ich erwarten konnte! Ich hatte keine Ahnung, ich weiß gar nicht, was ich da sagen soll«, rief naiverweise Madame de Saint-Euverte, der Swanns Geisteshaltung wenig vertraut war. »Aber wirklich, es sieht so aus wie … wie soll ich sagen … Kastanien sind es nicht! Eine reizende Idee! Aber woher soll die Fürstin denn unser Programm gekannt haben! Die Musiker hatten es

Weitere Kostenlose Bücher