Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
auszusprechen, sondern einen Dienst zu erbitten und der Meinung der Fürstin über das Mozart-Quintett zu bedürfen, als handele es sich um ein Gericht einer neuen Köchin, über deren Talent sie gern das Urteil eines Feinschmeckers einholen wollte.
»Aber ich kenne das Quintett, ich kann dir gleich sagen, … daß es mir gefällt!«
»Du weißt, meinem Mann geht es nicht sehr gut, seine Leber … es würde ihm solches Vergnügen machen, dich zu sehen«, fuhr Madame de Gallardon fort, im Versuch, das Erscheinen der Fürstin auf ihrer Soiree nunmehr zu einer Pflicht der Nächstenliebe zu machen.
Die Fürstin sagte nur ungern den Leuten zu Einladungen ab. Täglich drückte sie schriftlich ihr Bedauern darüber aus, daß sie – wegen der unerwarteten Ankunft ihrer Schwiegermutter, einer Einladung ihres Schwagers, eines Opernbesuchs, eines Ausflugs aufs Land – sich das Vergnügen versagen müsse, an einer Abendgesellschaft teilzunehmen, zu der zu gehen ihr nie in den Sinn gekommen wäre. So ließ sie viele Leute sich in dem freudigen Glauben wiegen, sie gehöre zu ihremBekanntenkreis und hätte sie an sich gern besucht, sei nun aber durch eine der Komplikationen ihres fürstlichen Daseins, die jene geschmeichelt als Konkurrenz für ihre Veranstaltung gelten ließen, daran verhindert. Da sie außerdem zu der geistvollen Coterie der Guermantes gehörte, in der noch etwas von jenem heiter sprühenden, allen Gemeinplätzen und konventionellen Gefühlsäußerungen abholden Geist überlebte, der von Mérimée stammt und seinen letzten Ausdruck in den Stücken von Meilhac und Halévy 1 erfahren hat, wandte sie diesen auch auf rein gesellschaftliche Beziehungen an und ließ ihn in ihre höflichen Ausreden einfließen, die sich um positive und präzise Formulierungen bemühten und so nah wie irgend möglich bei der schlichten Wahrheit blieben. Nie verlor sie einer Gastgeberin gegenüber viele Worte, wie gern sie an ihrer Soiree teilgenommen hätte; sie fand es liebenswürdiger, ihr ein paar Tatsachen vor Augen zu halten, von denen abhängen würde, ob sie kommen könne oder nicht.
»Höre, ich will dir sagen«, bemerkte sie zu Madame de Gallardon, »ich muß morgen abend zu einer Freundin, die mich vor langem schon auf diesen Tag eingeladen hat. Will sie uns mit ins Theater nehmen, so besteht beim besten Willen keine Möglichkeit, daß ich zu dir komme; wenn wir aber bei ihr bleiben, kann ich, da ich weiß, daß wir allein dort sind, sicher rechtzeitig gehen.«
»Sag, hast du gesehen, daß dein Freund Swann hier ist?«
»Wirklich? Mein allerliebster Charles! Ich wußte nicht, daß er gekommen ist, ich will schauen, daß er mich bemerkt.«
»Komisch, daß er sogar hier bei der alten Saint-Euverte erscheint«, meinte Madame de Gallardon. »O ja! ich weiß schon, er ist gescheit«, fügte sie hinzu, alsmeine sie damit, er sei geschickt, »aber das macht nichts, ein Jude ausgerechnet bei der Schwester und Schwägerin von zwei Erzbischöfen!«
»Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mich nicht daran stoße«, bemerkte die Fürstin des Laumes.
»Ich weiß natürlich, er ist getauft, sogar seine Eltern und Großeltern schon. Aber man sagt ja immer, daß getaufte Juden noch mehr mit ihrer Religion verbunden bleiben als die anderen, daß sie sich nur verstellen, ob das wohl stimmt?«
»In der Frage kenne ich mich gar nicht aus.«
Der Pianist, der zwei Stücke von Chopin zu spielen hatte, war nach dem Prélude sofort zu einer Polonaise übergegangen. Aber seitdem die Fürstin des Laumes durch ihre Kusine wußte, daß Swann anwesend sei, hätte Chopin selbst aus dem Grabe steigen und seine sämtlichen Werke vortragen können, ohne daß sie darauf achtgegeben hätte. Gehörte sie doch zu derjenigen Hälfte der Menschheit, die, anstatt auf alle unbekannten Wesen neugierig zu sein, sich nur für die ihr bekannten interessiert. Wie bei vielen Damen des Faubourg Saint-Germain genügte bei ihr, wo immer sie sich befand, die Gegenwart eines einzigen Menschen aus ihrer Coterie, selbst wenn sie ihm nichts zu sagen hatte, um ihre Aufmerksamkeit auf Kosten aller übrigen Anwesenden ausschließlich auf ihn zu konzentrieren. Von diesem Augenblick an machte die Fürstin in der Hoffnung, Swann werde sie bemerken, wie eine weiße Maus, der man, um sie zu zähmen, ein Stück Zucker einmal hinhält, dann wieder entzieht, nur noch Kopfbewegungen, in denen tausend Zeichen des Einverständnisses lagen, die zu der Polonaise von Chopin in
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