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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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keiner Beziehung standen, in der Richtung, in der Swann sich befand, und sobald er den Platz wechselte, verlegte sie entsprechend ihr magnetisch angezogenes Lächeln.
    »Oriane, sei mir nicht böse«, sagte Madame de Gallardon, die niemals darauf verzichten konnte, ihre größten und glänzendsten gesellschaftlichen Hoffnungen dem dunklen, auf sofortige Erfüllung gerichteten, ganz privaten Vergnügen aufzuopfern, irgend etwas Unangenehmes zu sagen. »Es gibt Leute, die behaupten, dieser Swann sei jemand, den man bei sich nicht empfangen kann, ist das wahr?«
    »Aber … du mußt es ja wissen«, antwortete die Fürstin des Laumes, »du hast ihn ja schon mindestens fünfzigmal eingeladen, ohne daß er gekommen ist.«
    Und indem sie ihre tödlich gekränkte Kusine stehen ließ, lachte sie noch einmal hell auf, zur Entrüstung derjenigen, die der Musik lauschten; aber immerhin zog sie dadurch die Aufmerksamkeit der Marquise von Saint-Euverte auf sich, die aus Höflichkeit in der Nähe des Flügels geblieben war und erst jetzt die Fürstin bemerkte. Madame de Saint-Euverte war um so entzückter, sie zu sehen, als sie sie noch in Guermantes mit der Pflege ihres kranken Schwiegervaters beschäftigt glaubte.
    »Aber wie denn, Fürstin, Sie sind da?«
    »Ja, ich habe mich in ein Eckchen gesetzt und viel Schönes gehört.«
    »Wie! Sie sind sogar schon länger da?«
    »Aber ja, nur ist mir die Zeit eigentlich kurz vorgekommen, lang höchstens, weil ich Sie noch immer nicht gesehen hatte.«
    Madame de Saint-Euverte wollte der Fürstin des Laumes ihren Fauteuil überlassen, doch diese antwortete:
    »Nicht doch! Warum denn! Ich sitze überall gut!«
    Mit Absicht wählte sie, um besonders eindringlich die schlichte Haltung einer wahrhaft großen Dame zu demonstrieren, einen kleinen, lehnenlosen Sitz:
    »Da, der Puff ist recht, mehr brauche ich nicht. Damuß ich mich wenigstens gerade halten. O mein Gott, jetzt mache ich schon wieder Lärm, sie werden mich noch auspfeifen.«
    Indessen steigerte der Pianist immer weiter das Tempo, die musikalische Begeisterung erreichte ihren Höhepunkt, ein Diener bot auf einem Tablett Erfrischungen an und klapperte dabei mit den Löffeln, und wie jede Woche machte ihm Madame de Saint-Euverte, ohne daß er es sah, ein Zeichen, er solle verschwinden. Eine Jungvermählte, die gelernt hatte, daß eine junge Frau nie blasiert aussehen dürfe, lächelte vor Freude und suchte mit dem Blick die Gastgeberin, um ihr ihre Dankbarkeit dafür auszudrücken, daß sie »an sie gedacht« habe bei einem solchen Genuß. Wenn auch mit größerer äußerer Ruhe als Madame de Franquetot, verfolgte sie doch das Stück mit Unruhe. Die ihre aber galt weniger dem Pianisten als dem Flügel, auf dem eine bei jedem Fortissimo in heftige Bewegung geratende Leuchte unaufhörlich nahe daran war, wenn auch nicht den Schirm in Brand zu setzen, so doch Flecke auf dem Palisanderholz zu machen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, sie eilte die beiden Stufen zu der Estrade, auf der das Instrument stand, hinauf und sprang hinzu, um die Tropfschale zu ergreifen. Doch kaum berührte sie sie mit der Hand, als das Stück mit dem Schlußakkord endete und der Klavierspieler sich erhob. Immerhin hinterließ die kühne Initiative der jungen Frau, ihr kurzer naher Kontakt mit dem Musiker allgemein einen günstigen Eindruck.
    »Haben Sie gesehen, was diese junge Person da gemacht hat?« fragte General de Froberville die Fürstin des Laumes, von der sich Madame de Saint-Euverte kurz entfernte, als er zu ihrer Begrüßung herangetreten war. »Das ist bemerkenswert. Ist sie selber Künstlerin?«
    »Nein, sie ist eine kleine Madame de Cambremer«,antwortete die Fürstin etwas unbedacht, und rasch setzte sie hinzu: »Ich wiederhole nur, was ich selbst habe sagen hören, ich habe keine Ahnung, wer sie ist, ich hörte nur hinter mir so eine Bemerkung, es handle sich um Gutsnachbarn von Madame de Saint-Euverte, aber ich glaube, kein Mensch kennt sie. Es sind wohl so ›Leute vom Lande‹! Im übrigen weiß ich nicht, ob Sie in der glanzvollen Gesellschaft hier sehr zu Hause sind, ich selbst kenne alle diese erstaunlichen Leute nicht einmal mit Namen. Was meinen Sie, womit die ihre Zeit verbringen, wenn sie nicht bei den Soireen von Madame de Saint-Euverte sind? Offenbar bezieht sie sie gleichzeitig mit den Musikern, den Stühlen und den Erfrischungen. Geben Sie zu, diese ›von Belloir gestellten‹ 1 Gäste sind wirklich erstklassig. Daß sie

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