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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Vermutungen, Täuschungen und Enttäuschungen weiter. Albertine erscheint bald als ausschweifende Bacchantin, bald als störrisches Mädchen, bald als wohlerzogene junge Dame. Als sie einmal eine Nacht im Grand-Hôtel verbringt und Marcel auf ihr Zimmer bittet, glaubt er, es handle sich um die Einladung zu einem Stelldichein. Wie er sie aber küssen will, klingelt sie nach dem Personal. Die für Marcel vollkommene Unberechenbarkeit Albertines bildet die Keimzelle der Albertine-Teile der Recherche , das heißt von Die Gefangene und Die Flüchtige , wo Proust die These, es sei unmöglich, jemanden, den man liebt, wirklich zu kennen, zu einer eigentlichen Allegorie des sich entziehenden Sinns ausbaut. Vorläufig aber, gleich nach dem Auftauchen der Schar von jungen Mädchen, stellt sich die Frage »Wer ist Albertine?« in weit bescheidenerer Form, nämlich: »Wer ist die kleine Simonet?« Diesen Namen hat Marcel auf der Strandpromenade aufgeschnappt, und auf ihn fixiert sich sogleich seine Neugier. Im Hotel läßt er sich die neuesten Fremdenlisten bringen, wo tatsächlich der Name Simonet erscheint. Er überträgt den Namen auf das anziehendste der jungen Mädchen, eine Radfahrerin mit schwarzer Polomütze. Später erfährt er von Elstir, der ihn auch mit ihr bekannt macht, sie heiße Albertine Simonet. Daß sich die Simonets im Gegensatz zu allen anderen Simonnets mit nur einem n schreiben, wird als eine Art von Snobismus erklärt. Wer jedoch genau hinsieht, erblickt im Namen der kleinen Simonet jenen Monets, des großen Impressionisten, und versteht ihn als einen Hinweis auf das in diesem Romanteil dominierende Thema der Malerei.

    Tatsächlich hat sich Proust nirgends so intensiv mit Malerei und mit malerischer Schreibtechnik auseinandergesetzt wie im zweiten Teil der Jeunes filles . Die Seestücke aus Freuden und Tage , die Stilleben aus dem Essay über Chardin und Rembrandt oder die Landschaften und die Bildbeschreibungen aus dem Kapitel »Ein Kunstsammler. – Monet, Sisley, Corot« in Jean Santeuil werden jetzt wieder aufgenommen und zu einer Art Panorama der Malerei sowie einer Demonstration malerischer Schreibtechnik ausgebaut. Es beginnt mit demSzenarium: Die Küstengegend von Balbec verdankt ihre Ausformung – ihre Klippen, ihre Strände, ihre Ausblicke auf das Meer – nicht nur Prousts Aufenthalten in der Bretagne und der Normandie, sondern auch seiner Kenntnis der zeitgenössischen Malerei. Auch die handelnden Personen scheinen oft einem Bild zu entsteigen: Bei ihrem Auftauchen erinnern die jungen Mädchen an die Strandbilder Boudins, Manets oder Monets, später an Renoir, und gelegentlich posieren sie in der Art einer Tänzerin von Degas; Marcel dagegen, der sich in ihrer Mitte beim Picknick niederläßt, gleicht einem der jungen Männer in Manets Déjeuner sur l’herbe . Und wenn er in seinem Hotelzimmer den Abendhimmel über dem Meer betrachtet, nimmt Proust dies zum Anlaß, eine Reihe literarischer Seestücke zu verfassen. Literarische Stilleben dagegen entstehen im Zusammenhang mit den Tafelfreuden im Grand-Hôtel und in Rivebelle.
    Das Atelier Elstirs, das seinerseits als Panorama ausgeformt ist, bildet das Zentrum dieses Romanteils. Es ist ein halbdunkler Raum mit einem einzigen offenen Fenster als Lichtquelle, eine Art magische Grotte, in der Elstir seine Kunstwerke erschafft. Wie Bergotte die Literatur und Vinteuil die Musik, so verkörpert Elstir in der Recherche die Malerei. Schon im Anlaut seines Namens klingt der Name eines Malers an (Helleu), und ein anderer Malername (Whistler) ist anagrammatisch in »Elstir« eingeschrieben. Auch seine Kunst ist eine eigentliche Zusammenfassung der zeitgenössischen Malerei, von Manets Pastellen zu Moreaus Symbolfiguren, von Turners Landschaften zu Monets Klippen und Stränden, von Degas’ Pferderennen zu den Yachtszenen Manets, Monets oder Bonnards. Bei seinem Besuch in Elstirs Atelier betrachtet Marcel zwei Bilder mit besonderer Aufmerksamkeit. In beiden hat Proust – wie in den anderen imaginären Kunstwerken der Recherche – wesentliche Aspekte seiner eigenen Kunst bildhaft dargestellt. Beim ersten, einer eben vollendeten Ansicht des Hafens von Carquethuit, geht es wie beim Bœuf à la gelée von Françoise zu Beginn der Jeunes filles um die Inbezugsetzung, die Verbindung und schließlich die Verschmelzung verschiedener Bereiche im Raum eines einzigen Kunstwerks. Genauso wie sich imKunstwerk der Köchin dank dem langsamen, sorgfältig

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