Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Sie einem alten Einsiedler bereiten, und ich darf versichern, daß es noch lange … «
Bei meinem Anblick stockte er jäh.
»Ich zeigte diesem Herrn hier gerade das schöne Porträt der Herzogin von La Rochefoucauld, der Frau des Verfassers der Maximes ; es stammt aus meiner Familie.«
Madame de Guermantes begrüßte indessen Alix und entschuldigte sich, daß sie – in diesem Jahr sowenig wie in allen vorangehenden – sie habe besuchen können. »Von Ihrem Befinden habe ich ja durch Madeleine 1 gehört«, setzte sie hinzu.
»Sie war heute mittag bei mir zu Tisch«, antwortete die Marquise vom Quai Malaquais, voller Genugtuung darüber, daß Madame de Villeparisis das gleiche nie sagen könne.
Ich unterhielt mich inzwischen mit Bloch, und in der Befürchtung, er könne mich – nach dem, was ich über die Änderung im Verhalten seines Vaters ihm gegenüber gehört hatte – um das Leben beneiden, das ich führen durfte, sagte ich zu ihm, das seine sei doch weitaus glücklicher. Diese Worte waren von meiner Seite in rein liebenswürdigem Sinn gemeint. Doch überzeugt Liebenswürdigkeit Menschen mit viel Eigenliebe leicht von ihrem bevorzugten Los oder flößt ihnen das Bedürfnis ein, die anderen davon zu überzeugen. »Ja, mein Leben ist wirklich wundervoll«, erwiderte er mit beseligtem Blick. »Ich habe drei gute Freunde, jeder weitere wäre zuviel, eine hinreißende Geliebte, ich bin unendlich glücklich. Wenigen Sterblichen nur schenkt Vater Zeus solche Fülle der Freuden.« Ich glaube, er war vor allem bemüht, sich herauszustreichen und meinen Neid zu erregen. Vielleicht lag auch ein Bedürfnis nach Originalität seinem Optimismus zugrunde. Es wurde vollends offenbar, daß er nicht mit den landläufigen Banalitäten wie »Oh, das war gar nicht der Rede wert usw.« antworten mochte, als er auf meine Frage: »War es nett?«, die sich auf eine nachmittägliche Tanzveranstaltung bei ihm bezog, an der ich nicht hatte teilnehmen können, ungeziert und leichthin, als handle es sich nicht um ihn, antwortete: »O ja, es war wirklich sehr nett, denkbar gut gelungen, ganz entzückend sogar.«
»Was Sie uns da sagen, interessiert mich ungemein«, sagte Legrandin zu Madame de Villeparisis, »denn gerade neulich erst dachte ich bei mir, wieviel Sie von ihm haben in der wachsamen Präzision des Ausdrucks, einem gewissen Etwas auch, was ich mit zwei einander widersprechenden Ausdrücken als lapidares Tempo und unsterbliche Momentaufnahme bezeichnen möchte. Heute abend hätte ich am liebsten alles aufgezeichnet, was Sie sagen, aber ich behalte es auch so. Ihre Worte sind, wie– glaube ich – Joubert 1 bei Gelegenheit sagte, dem Erinnern gewogen. Haben Sie nie Joubert gelesen? Wenn ich dabei denke, wie sehr Sie ihm gefallen hätten! Ich werde mir gleich heute abend noch erlauben, Ihnen seine Werke zu schicken, und stolz darauf sein, Ihnen seinen Geist präsentieren zu dürfen. Er besaß nicht Ihre Kraft. Aber auch er besaß sehr viel Anmut.«
Ich hatte Legrandin sogleich begrüßen wollen, aber er hielt sich beständig möglichst weit von mir entfernt, bestimmt in der Hoffnung, ich werde auf diese Weise die Schmeicheleien nicht hören, die er mit raffiniertem Geschick bei jeder Gelegenheit an Madame de Villeparisis verströmte.
Sie zuckte lächelnd die Achseln, als wolle er sich über sie lustig machen, und wandte sich wieder an den Historiker.
»Und diese hier ist die berühmte Marie de Rohan, Herzogin von Chevreuse, die in erster Ehe mit Monsieur de Luynes 2 verheiratet war.«
»Oh, meine Liebe, bei Madame de Luynes fällt Yolande 3 mir ein; sie war gestern bei mir; wenn ich gewußt hätte, daß Sie am Abend nicht besetzt sind, hätte ich nach Ihnen geschickt; Madame Ristori, die überraschend erschien, hat in Gegenwart der Verfasserin Gedichte der Königin Carmen Sylva 4 rezitiert, einfach unerhört schön!«
Was für eine Gemeinheit! dachte Madame de Villeparisis. Sicher deswegen hat sie neulich leise mit Madame de Beaulaincourt und Madame de Chaponay getuschelt. »Ich war zwar frei«, antwortete sie, »aber gekommen wäre ich nicht. Ich habe Madame Ristori in ihrer guten Zeit gehört, heute ist sie nur noch ein Wrack. Die Gedichte von Carmen Sylva sind mir zudem ein Greuel. Die Ristori war einmal hier bei mir, die Herzogin von Aosta hatte sie mitgebracht; damals rezitierte sie einenGesang des Inferno von Dante. 1 Darin ist sie wirklich ganz unvergleichlich.«
Alix nahm den Schlag ohne Wanken hin. Sie stand
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