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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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da wie ein Marmorbild. Ihr Blick war durchdringend und leer, ihre Nase bewahrte ihren noblen Schwung. Doch eine Wange blätterte ab. Eine leichte, sonderbare grün und rosa Vegetation überwucherte ihr Kinn. Ein weiterer Winter noch würde Alix vielleicht zur Strecke bringen.
    »Schauen Sie her, Monsieur, wenn Sie die Malerei lieben«, sagte Madame de Villeparisis zu Legrandin, um weiteren Komplimenten, die bereits einsetzten, vorzubeugen, »das ist das Porträt von Madame de Montmorency.«
    Sobald er sich etwas entfernt hatte, benutzte Madame de Guermantes die Gelegenheit, um ihre Tante mit einem ironischen Seitenblick auf ihn fragend anzusehen.
    »Monsieur Legrandin«, raunte die Marquise ihr zu; »er hat eine Schwester, die Madame de Cambremer heißt, was dir im übrigen wohl ebensowenig sagt wie mir.«
    »Wie bitte, die kenne ich doch ausgezeichnet«, entfuhr es Madame de Guermantes, die sofort die Hand vor den Mund legte. »Oder vielmehr ich kenne sie nicht, aber ich weiß nicht, was in Basin gefahren ist, der irgendwo ihrem Mann begegnet ist und dieser dicken Person gesagt hat, sie solle mich doch besuchen. Ich kann Ihnen gar nicht schildern, wie ich diese Heimsuchung überstanden habe. Sie hat mir erzählt, sie sei in London gewesen, und hat mir sämtliche Bilder im British 2 aufgezählt. Leibhaftig, wie ich vor Ihnen stehe, werde ich auf dem Heimweg bei diesem Monstrum mein Kärtchen hinschmeißen. Glauben Sie nur ja nicht, das sei so leicht, denn unter dem Vorwand, sie sei sterbenskrank, ist sie immer zu Hause, und ob man um sieben Uhr abends hingeht oder um neun Uhr früh, sie ist immer da und bereit, einem Erdbeertörtchen anzubieten. Aber doch, natürlichist sie ein Monstrum«, setzte Madame de Guermantes auf einen fragenden Blick ihrer Tante hinzu. »Eine ganz unmögliche Person: Sie sagt ›Federfuchser‹ und solche Sachen.« – »Was soll das heißen, ›Federfuchser‹?« wollte Madame de Villeparisis von ihrer Nichte wissen. »Ich habe keine Ahnung!« rief die Herzogin in geheucheltem Unmut aus. »Ich will auch keine haben. Ich spreche diese Sprache nicht.« Dann aber, als sie sah, daß ihre Tante wirklich nicht wußte, was Federfuchser bedeutete, wollte sie doch die Genugtuung haben zu zeigen, daß sie ebenso gebildet wie auf die Reinheit der Sprache bedacht sei, und um sich über ihre Tante lustig zu machen wie zuvor über Madame de Cambremer, fuhr sie mit einem gequälten Lachen, das durch einen Rest vorgeblicher Verstimmtheit noch etwas gezwungen wirkte, fort: »Also im Ernst, das weiß heute jeder, ein Federfuchser ist ein Schreiberling, einer, der einen mit der Feder fuchst. Mir graut vor solchen Wörtern, man bekommt Zahnweh vor lauter Gespreiztheit. Nie würde man mich dazu bringen, so etwas in den Mund zu nehmen. Schau an, das ist der Bruder! Ich habe das noch gar nicht realisiert. Eigentlich ist es ja klar. Auch sie legt sich platt auf den Bauch vor lauter Ergebenheit und ist ebenfalls eine wandelnde Bibliothek. Sie schmeichelt einen wie er und fällt nicht weniger auf die Nerven. Ich kann mich jetzt schon ganz gut in die Idee dieser Verwandtschaft hineindenken.«
    »Setz dich, wir trinken jetzt eine Tasse Tee«, sagte Madame de Villeparisis zu Madame de Guermantes, »bediene dich selbst, du brauchst dir ja nicht die Porträts deiner Urgroßmütter anzuschauen, du kennst sie ebensogut wie ich.«
    Madame de Villeparisis setzte sich bald wieder an ihre Malerei. Alle traten zu ihr heran; ich benutzte die Gelegenheit, um zu Legrandin zu gehen, und da ich in seiner Anwesenheit bei Madame de Villeparisis nichtsTadelnswertes fand, sagte ich, ohne daran zu denken, daß ich ihn gleichzeitig verletzen und die Meinung in ihm erzeugen würde, ich lege es darauf gerade an, zu ihm: »Nun, Monsieur, so bin ich also schon fast entschuldigt, mich in einem Salon zu befinden, da ich Sie ja hier treffe.« Legrandin schloß aus diesen Worten (jedenfalls war das das Urteil, das er ein paar Tage darauf über mich fällte), ich sei ein zutiefst bösartiges kleines Subjekt und einzig auf Niederträchtigkeiten aus.
    »Sie könnten zunächst einmal so höflich sein, mir guten Tag zu sagen«, antwortete er, ohne mir die Hand zu geben, und mit einer wütenden, vulgären Stimme, die ich bei ihm nie vermutet hätte und die, ohne jede rationale Beziehung zu dem, was er gewöhnlich sagte, eine um so unmittelbarere und schlagendere zu einer ihn jetzt erfüllenden Empfindung hatte. Da wir nämlich stets zu verheimlichen

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