Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
satanischer Ironie vortrug.
»Soso, gerade dahin geht auch mein Großneffe Châtellerault, Sie sollten sich mit ihm verabreden. Ist er eigentlich noch da? Wissen Sie, er ist sehr nett«, sagte Madame de Villeparisis völlig unvoreingenommen und im guten Glauben, daß Menschen, die sie beide kannte, keinen Grund haben könnten, sich nicht miteinander anzufreunden.
»Oh! Ich weiß nicht, ob ihm das recht wäre, ich kenne ihn doch kaum, er steht da weiter hinten«, sagte Bloch, gleichzeitig verlegen und entzückt.
Offenbar hatte der Maître d’hôtel seinen Norpois betreffenden Auftrag nicht ganz richtig ausgeführt. Umnämlich glauben zu machen, er treffe eben erst von draußen her ein und habe die Dame des Hauses noch nicht gesehen, hatte Monsieur de Norpois aufs Geratewohl im Vorzimmer einen Hut ergriffen, trat nun ein und küßte Madame de Villeparisis sehr förmlich die Hand, wobei er sich nach ihrem Ergehen mit einem Interesse erkundigte, wie man es nur nach einer langen Abwesenheit an den Tag legt. 1 Er ahnte nicht, daß die Marquise dieser Komödie im voraus jede Wahrscheinlichkeit genommen hatte; sie bereitete ihr denn auch schnell ein Ende, indem sie Norpois und Bloch in einen Nebensalon führte. Bloch, der gesehen hatte, mit welch erlesener Liebenswürdigkeit einem Mann begegnet wurde, von dem er noch nicht wußte, daß es Monsieur de Norpois war, und mit welch abgezirkelt förmlichen, anmutigen und tiefen Verbeugungen der Botschafter darauf antwortete, fühlte sich diesem Zeremoniell weit unterlegen; in seinem Verdruß darüber, daß ihm dergleichen niemals zuteil werden würde, und um möglichst zufrieden zu wirken, sagte er zu mir: »Was ist denn das für ein Trottel?« Im übrigen fand Bloch diese Begrüßungsformalitäten bei Norpois, da sie die beste Seite an ihm unangenehm berührten, nämlich den größeren Freimut eines modernen Milieus, vielleicht zum Teil aufrichtig lächerlich. Sogleich aber kamen sie ihm nicht mehr komisch vor und entzückten ihn vielmehr von der Sekunde an, wo er selber Gegenstand dieser Aufmerksamkeiten wurde.
»Exzellenz«, sagte Madame de Villeparisis, »ich möchte Sie mit Monsieur bekannt machen. Monsieur Bloch, seine Exzellenz der Marquis von Norpois.« Sie hielt darauf, trotz des rauhen Tones, den sie Norpois gegenüber anstimmte, ihn mit »Exzellenz« anzureden, aus Lebensart sowohl wie aus übertriebener Hochachtung vor dem Rang eines Botschafters, einer Hochachtung, die der Marquis ihr eingeimpft hatte, ferner aber auch, um einembestimmten Manne gegenüber solche weniger vertraulichen, förmlicheren Manieren an den Tag zu legen, wie sie dadurch, daß sie so deutlich von der Unbefangenheit abstechen, mit der die anderen Gewohnheitsgäste behandelt werden, im Salon einer vornehmen Dame diesen sogleich als ihren Liebhaber kennzeichnen.
Monsieur de Norpois ließ den blauen Blick in seinen weißen Bart hinabtauchen, neigte tief die hochgewachsene Gestalt, als verbeuge er sich vor allem, was der Name Bloch ihm an Weithinbekanntem und Hervorragendem vor Augen rückte, und murmelte: »Ich bin entzückt«, während sein junger Gesprächspartner gerührt, aber in dem Gefühl, der berühmte Diplomat gehe doch etwas zu weit, eifrig bemüht war, die Dinge richtigzustellen, und sagte: »Nicht doch, im Gegenteil, wenn jemand entzückt ist, so bin ich es.« Das Zeremoniell jedoch, das Monsieur de Norpois seiner alten Freundin zuliebe gegenüber jedem Unbekannten, den diese ihm vorstellte, wieder spielen ließ, schien Madame de Villeparisis als Höflichkeitsbezeigung für Bloch nicht zu genügen, denn zu diesem gewandt setzte sie hinzu:
»Fragen Sie ihn nur alles, was Sie wissen wollen, führen Sie ihn in eine Ecke, wenn Ihnen das angenehmer scheint: er wird entzückt sein, mit Ihnen zu plaudern. Ich glaube, Sie wollten mit ihm über die Dreyfus-Affäre sprechen«, fuhr sie fort, wobei es sie ebensowenig kümmerte, ob das Monsieur de Norpois auch recht sein werde, wie sie daran gedacht hätte, das Porträt der Herzogin von Montmorency um Erlaubnis zu bitten, bevor sie es für den Historiker besser beleuchten ließ, oder den Tee, bevor sie eine Tasse davon anbot.
»Sprechen Sie deutlich mit ihm«, sagte sie zu Bloch, »er hört schwer, aber er wird Ihnen alles sagen, was Sie von ihm wissen wollen, er hat Bismarck und Cavour gut gekannt. Nicht wahr, Monsieur«, wandte sie sichsehr laut an ihren Freund, »Sie haben Bismarck doch gut gekannt?«
»Haben Sie zur Zeit irgend etwas in
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