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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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überflüssig geworden war, denn Bloch war bereits entschlossen, den beiden Künstlern, von denen er gesprochen hatte, vorzuschlagen, im Interesse ihres Ruhms bei der Marquise umsonst aufzutreten, an einem jener Empfänge, bei denen die Elite Europas zugegen war. Er hatte sogar noch zusätzlich eine Tragödin inVorschlag gebracht, »mit blaugrünen Augen, schön wie Hera« 1 , die, mit einem Sinn für »plastische Schönheit« begabt, lyrische Prosa sprechen sollte. Doch als er ihren Namen nannte, hatte Madame de Villeparisis dankend abgelehnt, denn es war die Freundin von Saint-Loup.
    »Ich habe da bessere Nachrichten«, sagte sie mir leise ins Ohr, »ich glaube, die Sache liegt bereits in den letzten Zügen, sie werden sich wohl bald trennen. Obwohl ein Offizier eine abscheuliche Rolle in der ganzen Sache gespielt hat«, setzte sie hinzu. (Denn Roberts Familie begann Monsieur de Borodino tödlich zu hassen, weil er Saint-Loup auf die dringende Fürsprache des Friseurs den Urlaub für Brügge bewilligt hatte, und beschuldigte ihn, eine infame Verbindung zu begünstigen.) »Das ist jemand ganz Übles«, sagte Madame de Villeparisis in dem sittenstrengen Ton selbst der verderbtesten Guermantes. »Ganz, ganz übel«, wiederholte sie zischend. Man spürte deutlich, daß sie der Meinung war, er sei bei allen Orgien dabei. Da aber Liebenswürdigkeit bei der Marquise die vorherrschende Gewohnheit war, ging der Ausdruck stirnrunzelnder Strenge gegenüber dem schrecklichen Rittmeister, dessen Name »Fürst von Borodino« sie mit ironischer Emphase aussprach, weil sie eine Frau war, für die das Kaiserreich nicht zählte, in ein zärtliches, für mich bestimmtes Lächeln über, das ein mechanisches Augenzwinkern vager Komplizenschaft mit mir begleitete.
    »Ich habe de Saint-Loup-en-Bray gern gemocht«, meinte Bloch, »obwohl er ein elender Hund ist, denn er besitzt eine ausgezeichnete Kinderstube. Ich mag das, nicht ihn, sondern Leute mit guter Kinderstube, weil das etwas so Seltenes ist«, fuhr er fort, ohne zu merken, weil es ihm an Kinderstube fehlte, wie sehr seine Reden mißfielen. »Ich werde ihnen ein, wie ich finde, sehr schlagendes Beispiel für seine vollkommene Wohlerzogenheit anführen. Ich habe ihn einmal mit einem jungen Mannzusammen getroffen, wie er gerade seinen Wagen mit den wohlgeformten Felgen besteigen wollte, nachdem er selbst die herrlichen Riemen den zwei mit Hafer und Gerste wohlgenährten Rossen übergeworfen hatte, die man mit funkelnder Peitsche nicht erst anzutreiben braucht. Er stellte uns einander vor, aber ich verstand den Namen des jungen Mannes nicht, denn man versteht ja nie den Namen der Personen, mit denen man bekannt gemacht wird«, setzte er grinsend hinzu, weil das einer der Witze seines Vaters war. »De Saint-Loup-en-Bray blieb ganz schlicht, er betrieb gar keinen besonderen Aufwand für den jungen Mann und schien in keiner Weise befangen zu sein. Zufällig aber hörte ich ein paar Tage darauf, daß der junge Mann der Sohn von Sir Rufus Israëls war!«
    Das Ende dieser Geschichte wirkte weniger schockierend als der Anfang, denn es blieb unverständlich für die Anwesenden. In der Tat nämlich war Sir Rufus Israëls in den Augen Blochs und seines Vaters eine Persönlichkeit von fast königlichem Ansehen, vor der Saint-Loup erzittern mußte, hingegen für das Milieu der Guermantes nur ein in der Gesellschaft geduldeter fremder Parvenü, auf dessen Freundschaft man sich beim besten Willen nichts einbilden konnte, eher umgekehrt!
    »Ich habe es«, fuhr Bloch fort, »durch Sir Rufus Israëls’ Bevollmächtigten gehört, der ein Freund meines Vaters und ein wirklich außergewöhnlicher Mensch ist. Ja, eine höchst interessante Persönlichkeit«, bekräftigte er energisch in dem enthusiastischen Ton, mit dem man nur Überzeugungen vertritt, die man sich nicht selbst gebildet hat. »Aber höre mal«, fragte er mich darauf mit stark gedämpfter Stimme, »wie groß mag wohl Saint-Loups Vermögen sein? Du weißt ja, daß die Sache selbst mir an sich so gleichgültig ist wie nur irgend etwas sonst, ich frage nur aus balzacschem Interesse, du verstehstdoch. Und du weißt auch nicht, wie es angelegt ist, ob in französischen oder ausländischen Werten, oder in Grundbesitz?«
    Ich konnte ihm keinerlei Auskunft erteilen. Bloch gab nun das Flüstern wieder auf und bat sehr laut um die Erlaubnis, die Fenster öffnen zu dürfen; ohne die Antwort abzuwarten, ging er bereits darauf zu. Madame de

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