Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
muß, ist, daß sich Ihr Vater bewirbt: Principiis obsta ! 3 Seine Freunde würden sich in einer heiklen Lage befinden, wenn er sie vor vollendete Tatsachen stellte. Schauen Sie«, sagte er unvermittelt und mit einer Miene vollkommener Offenheit, während er seine blauen Augen voll auf michrichtete, »ich werde Ihnen etwas sagen, was Sie von meiner Seite in Erstaunen setzen wird, der ich doch Ihrem Vater so sehr zugetan bin. Gerade weil ich es bin, gerade deshalb (wir sind die zwei Unzertrennlichen, Arcades ambo ) 1 , weil ich weiß, welche Dienste er seinem Land erweisen, welche Klippen er für es zu umschiffen vermag, wenn er das Ruder nicht aus der Hand gibt, würde ich ihm – aus Zuneigung, aus Hochachtung, aus Patriotismus – meine Stimme vorenthalten. Im übrigen habe ich es ihm, glaube ich, bereits angedeutet.« (Ich meinte, in diesem Augenblick das strenge assyrische Profil Leroy-Beaulieus in seinen Augen sich abzeichnen zu sehen.) »Wenn ich jetzt doch für ihn stimmte, würde ich also gewissermaßen mich selbst desavouieren.« Verschiedentlich qualifizierte Norpois seine Kollegen als Fossilien. Wenn man von anderen Gründen absieht, belegt jedes Mitglied eines Clubs oder einer Akademie seine Kollegen gern mit der Bezeichnung einer der seinen völlig entgegengesetzten Wesensart: weniger wegen des Vorteils, sagen zu können: »Ja, wenn es nur von mir abhinge!«, als wegen der Genugtuung, seine eigene Mitgliedschaft als um so schwerer erreichbar und deshalb als um so schmeichelhafter darzustellen. »Ich möchte ihnen also sagen«, schloß er, »daß mir im Interesse aller ein triumphaler Einzug Ihres Vaters dort in zehn oder fünfzehn Jahren weit lieber wäre.« Damals meinte ich, diese Worte seien wo nicht von Eifersucht, so doch von einem absoluten Mangel an Bereitschaft zu Gefälligkeiten diktiert; später jedoch erhielten sie durch die Ereignisse selbst einen ganz anderen Sinn.
»Möchten Sie nicht vielleicht im Institut den Brotpreis zur Zeit der Fronde zur Sprache bringen?« fragte Norpois schüchtern der Historiker der Fronde. »Sie würden damit einen hervorragenden Erfolg haben« (was hieß, für mich eine Bombenreklame machen), setzte er hinzu, indem erden Botschafter mit einem Kleinmut, aber auch mit einer Zärtlichkeit anlächelte, die ihm die Lider hob und Augen, groß und weit wie der Himmel, sehen ließ. Ich glaubte, diesem Blick schon einmal begegnet zu sein, obschon ich den Historiker erst seit heute kannte. Plötzlich erinnerte ich mich: ich hatte den gleichen Blick in den Augen eines brasilianischen Arztes gesehen, der Erstikkungsanfälle wie die meinigen durch abwegige Inhalationen von irgendwelchen Pflanzenessenzen heilen zu können behauptete. Da ich ihm, um seine Sorgfalt für meine Person möglichst noch zu erhöhen, erzählt hatte, daß ich Professor Cottard kenne, hatte er mir, als liege es im Interesse dieses letzteren, gesagt: »Wenn Sie ihm von dieser Behandlung erzählten, könnte er darüber einen aufsehenerregenden Vortrag in der Académie de médecine halten!« Er hatte nicht gewagt, weiter in mich zu dringen, mich aber mit dem gleichen schüchtern eigennützigen, flehentlichen Frageblick angeschaut, den ich soeben bei dem Historiker der Fronde bewundert hatte. Freilich kannten sich die beiden Männer nicht und waren sich auch nicht ähnlich, aber psychologische Gesetze haben wie die physikalischen eine gewisse Allgemeingültigkeit. Wenn die dafür notwendigen Voraussetzungen die gleichen sind, erhellt ein und derselbe Blick die verschiedenen menschlichen Lebewesen wie ein gleicher Morgenhimmel über weit auseinandergelegenen und einander ganz fremden Gegenden der Welt. Ich hörte die Antwort des Botschafters nicht, denn mit etwas stärker werdendem Stimmengewirr scharte sich jetzt alles um die malende Madame de Villeparisis.
»Sie wissen doch, von wem wir sprechen, Basin?« fragte die Herzogin ihren Mann.
»Natürlich, ich kann es mir denken«, gab der Herzog zur Antwort. »Ja, das war nicht gerade, was wir eine Schauspielerin von hohem Rang nennen.«
»Nie im Leben«, fuhr Madame de Guermantes zu Monsieur d’Argencourt gewendet fort, »haben Sie etwas so Lächerliches gesehen.«
»Es war geradezu tolldreist«, mischte Monsieur de Guermantes sich ein, dessen sonderbarer Wortschatz gleichzeitig den gesellschaftlichen Kreisen erlaubte, zu behaupten, er sei nicht dumm, und den literarischen, ihn für den schlimmsten aller Trottel zu halten.
»Ich kann nicht verstehen«,
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