Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Arbeit?« fragte mich Norpois mit beziehungsvollem Blick, als er mir herzlich die Hand drückte. Ich benutzte die Gelegenheit, um ihm in verbindlicher Weise den Hut abzunehmen, den er aus Höflichkeit mitzuführen sich verpflichtet fühlte, weil ich feststellen mußte, daß es meiner war, den er zufällig erwischt hatte. »Sie haben mir da einmal ein etwas gewundenes Werklein gezeigt, wo Sie sich mit Haarspaltereien aufhielten. Ich habe Ihnen freimütig meine Meinung darüber gesagt: das Stück war es nicht wert, zu Papier gebracht zu werden. Haben Sie jetzt etwas Neues unter der Feder? Sie schwärmen für Bergotte, wenn ich mich recht entsinne?« – »Oh, sprechen Sie mir ja nicht schlecht von Bergotte«, rief die Herzogin herüber. »Ich bestreite nicht, daß er ein gewisses Maltalent besitzt, niemand wird das tun, Herzogin. Er versteht sich darauf, mit dem Stichel und der Ätze zu hantieren, nicht aber, wie Monsieur Cherbuliez 1 , eine große Komposition hinzuwerfen. Doch scheint es mir, daß unsere Zeit die Gattungen durcheinanderbringt und daß es dem Romanschriftsteller besser ansteht, den Knoten einer Handlung zu schürzen und die Herzen zu erbauen, als mit der kalten Nadel ein Frontispiz oder eine Schlußvignette zu schnörkeln. Am Sonntag werde ich Ihren Vater bei unserem guten A. J. treffen«, setzte er mit einer Wendung zu mir hinzu.
Ich hoffte einen Augenblick, als ich ihn mit Madame de Guermantes sprechen sah, er werde mir vielleicht für einen Besuch bei ihr die Hilfestellung geben, die er mir bei Madame Swann verweigert hatte. »Daneben gilt meine große Bewunderung«, sagte ich zu ihm, »dem Maler Elstir. Die Herzogin von Guermantes soll von ihm ein paar herrliche Sachen haben, darunter jenenhinreißenden Bund Radieschen 1 , den ich auf der Ausstellung sah und unendlich gern wiedersehen würde; ich finde, dieses Bild ist wahrhaft ein Meisterwerk!« Tatsächlich, wäre ich eine der Tagesgrößen gewesen und befragt worden, welchem Werk der Malerei ich den Vorzug gebe, hätte ich diesen Radieschenbund genannt.
»Ein Meisterwerk?« rief Norpois mit einem Ausdruck des Staunens und des Tadels. »Das Ding hat nicht einmal den Anspruch, ein Bild zu sein, es ist eine einfache Skizze« (damit hatte er recht). »Wenn Sie diese flüchtig hingeworfene Zeichnung ein Meisterwerk nennen, was sagen Sie dann zu der Vierge von Hébert oder von Dagnan-Bouveret?« 2
»Ich habe gehört, daß Sie Roberts Freundin nicht hier haben wollen«, sagte Madame de Guermantes zu ihrer Tante, nachdem Bloch den Botschafter auf die Seite geführt hatte, »ich glaube, daß Sie es nicht bereuen werden, Sie wissen, daß sie ein Graus ist, sie hat keinen Schimmer Talent und ist außerdem geradezu grotesk.«
»Woher kennen Sie sie denn, Herzogin?« fragte Monsieur d’Argencourt.
»Wie? Sie wissen nicht, daß sie früher als bei allen anderen bei mir aufgetreten ist? Ich bin freilich nicht gerade stolz darauf«, gab Madame de Guermantes lachend zurück, war aber doch glücklich darüber, bekanntzugeben, wenn schon von dieser Schauspielerin die Rede war, daß man deren Lächerlichkeiten zum erstenmal bei ihr hatte genießen können. »Doch schauen Sie, ich muß jetzt gehen«, setzte sie hinzu, ohne sich von ihrem Platz zu rühren.
Sie sah nämlich gerade ihren Gatten eintreten und spielte mit ihren Worten auf die Komik der Tatsache an, daß sie hier mit ihm einen gemeinsamen Besuch zu machen schien wie ein jungverheiratetes Paar, und gar nicht auf das oft schwierige Verhältnis zwischen ihr unddiesem mächtigen Burschen, der, obwohl reiferen Alters, immer noch das Leben eines jungen Mannes führte. Während er über die große Zahl von Personen, die um den Teetisch saßen, liebenswürdig höfliche, maliziöse und von der untergehenden Sonne geblendete Blicke gleiten ließ, aus seinen kleinen runden Pupillen, die so exakt im Auge saßen wie das »Schwarze«, das er als ausgezeichneter Schütze unfehlbar visierte und traf, schob sich der Herzog mit vorsichtig stutzender Langsamkeit voran, ganz als ob er, von einer so glänzenden Versammlung eingeschüchtert, fürchtete, auf Schleppen zu treten oder Gespräche zu stören. Das ständige Lächeln eines etwas angesäuselten guten Königs zu Yvetot 1 , eine halbgespreizte Hand, die wie eine Haifischfloße neben seiner Brust trieb und die er unterschiedslos von alten Freunden wie von Unbekannten, die ihm vorgestellt wurden, drücken ließ, erlaubten es ihm, ohne eine einzige Geste machen zu
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