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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Name enthielt unter den verschiedenen Namen, aus denen er bestand, den eines kleinen deutschen Thermalkurortes, in dem ich als Kind mit meiner Großmutter gewesen war 1 : er lag am Fuße eines Gebirges, das Goethe mit seinen Spaziergängen beehrt hatte und aus dessen Rebgeländen wir berühmte Weine mit zusammengesetzten Namen, die tönend waren wie die Beiwörter, die Homer seinen Helden verleiht, im Kurhof tranken. Kaum hatte ich also den Namen des Fürsten aussprechen hören, als er mir auch schon, noch bevor ich mich an jenen Kurort erinnerte, kleiner zu werden schien, sich mit Menschlichkeit zu füllen begann, sich mit einem kleinen Raum in meinem Gedächtnis begnügte, dem er sich bereitwillig, traulich, malerisch, anschaulich, leicht zugesellte, in einer Weise, der etwas Autorisiertes und Vorschriftsmäßiges anhaftete. Mehr noch: als Monsieur de Guermantes Erklärungen über die Person des Fürsten abgab, nannte er mehrere seiner Titel, und unter ihnen erkannte ich den Namen eines Dorfes an dem Fluß, wo ich jedenAbend nach der Kur inmitten der Mückenschwärme rudern ging, sowie den eines Waldes, der so weit entfernt lag, daß der Arzt mir einen Ausflug dorthin nicht erlaubt hatte. Tatsächlich war es ja ganz verständlich, daß sich die Herrschaft des Fürsten auf die Nachbargegenden erstreckt hatte und daß nun von neuem bei der Aufzählung seiner Titel die Namen auftauchten, die man ganz dicht beieinander auf der Karte lesen konnte. So trat mir hinter dem Visier eines Fürsten des Heiligen Römischen Reiches und Marschalls der fränkischen Lande das Antlitz einer geliebten Erde entgegen, auf der oft für mich die Strahlen des Spätnachmittags geruht hatten – wenigstens so lange, bis der Rheingraf und Kurfürst von der Pfalz eingetreten war. Denn ich hatte innerhalb von ein paar Sekunden erfahren, daß er die Einkünfte, die er aus seinem von Gnomen und Nixen bevölkerten Wald und Fluß bezog sowie aus dem verzauberten Berg, auf dem sich eine alte, das Andenken an Luther und Ludwig den Deutschen noch bewahrende Burg erhebt, dazu verwendete, fünf Charron-Automobile 1 , ein Stadtpalais in Paris und eines in London, am Montag eine Loge in der Oper und für die »Mardis« eine im Théâtre-Français zu halten. Es kam mir nicht so vor – und er selbst schien es nicht zu glauben –, daß er sich irgendwie von anderen Männern der gleichen Vermögensklasse und desselben Alters unterschied, die über eine weniger poetische Herkunft verfügten. Er besaß die gleiche Bildung, die gleichen Ideale wie sie, freute sich seines Rangs, jedoch nur wegen der Vorteile, die er ihm bot, und hatte nur noch einen Ehrgeiz im Leben: den, zum korrespondierenden Mitglied der Académie des Sciences morales et politiques ernannt zu werden, und das war auch der Grund, weshalb er bei Madame de Villeparisis erschienen war. Wenn er, dessen Frau den exklusivsten gesellschaftlichen Kreis von Berlin präsidierte, den Wunsch geäußert hatte, bei der Marquisevorgestellt zu werden, so war es nicht deswegen, weil er von vornherein ein Verlangen danach verspürt hätte. Seit Jahren schon nagte der Ehrgeiz, ins »Institut« berufen zu werden, an ihm, doch hatte er zu seinem Kummer niemals mehr als fünf Mitglieder der Akademie zuversichtlich bereit gewußt, zu seinen Gunsten zu stimmen. Es war ihm bekannt, daß Norpois für seine Person allein über mindestens zehn Stimmen verfügte, zu denen er durch geschickte Schachzüge sicher noch andere würde hinzufügen können. Daher hatte auch der Fürst, der jenen von Rußland her kannte, wo sie beide gleichzeitig Botschafter gewesen waren, Norpois aufgesucht und alles getan, um ihn sich geneigt zu machen. Doch wie viele Liebenswürdigkeiten er auch an ihn wandte, indem er dem Marquis russische Auszeichnungen verschaffte und ihn in Artikeln über auswärtige Politik zitierte, er hatte bislang in ihm einen Undankbaren gefunden, einen Mann, für den alles Entgegenkommen nicht zu zählen schien, der seine Kandidatur nicht um einen Schritt vorangebracht und ihm nicht einmal seine eigene Stimme zugesagt hatte! Gewiß empfing ihn Norpois mit äußerster Zuvorkommenheit, er wollte sogar nicht, daß er die leiseste Unbequemlichkeit auf sich nehme und etwa sich »bis an seine Tür bemühe«, sondern suchte den Fürsten persönlich in seinem Palais auf und antwortete auf den Satz des Deutschordensritters: »Ich wäre gern ihr Kollege« im Brustton der Überzeugung: »Oh! Ich würde mich ungemein glücklich

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