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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Aristokratie angeknüpft. Es mag befremdlich erscheinen, daß die Herzogin von Guermantes, die doch mit Swann so sehr befreundet war, diesem Beispiel in keiner Weise folgte und seinem Wunsch – aus dem er ihr gegenüber auch kein Hehl gemacht hatte –, ihr seine Frau vorzustellen, nie nachgegeben hatte. Es wird sich aber später zeigen, daß das eine Folge des besonderen Charakters der Herzogin war, die in der Meinung lebte, sie »habe dies oder das nicht zu tun«, und despotisch anderen aufzwang, was ihr gesellschaftlicher »freier Wille« mit größter Willkür beschlossen hatte.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie mich vorwarnen«, antwortete die Herzogin. »Es wäre mir tatsächlich sehr unangenehm. Aber da ich sie vom Sehen kenne, werde ich eben rechtzeitig aufbrechen.«
    »Ich kann dir versichern, Oriane, sie ist eine sehr angenehme Person, eine verdienstvolle Frau«, sagte Madame de Marsantes.
    »Ich zweifle nicht daran, verlange aber nicht danach, mich selbst davon zu überzeugen.«
    »Bist du bei Lady Israëls eingeladen?« fragte Madame de Villeparisis die Herzogin, um das Thema zu wechseln.
    »Gottlob kenne ich sie nicht«, antwortete Madame de Guermantes. »Das müssen Sie Marie-Aynard fragen. Siekennt sie, und ich habe mich immer gefragt, wie sie dazu kommt.«
    »Ich habe tatsächlich ihre Bekanntschaft gemacht«, antwortete Madame de Marsantes, »ich gestehe meine Fehler ein. Aber ich bin entschlossen, sie fortan nicht mehr zu kennen. Sie scheint eine der Schlimmsten zu sein und macht keinen Hehl daraus. Im übrigen sind wir alle zu vertrauensvoll und zu gastfrei gewesen. Ich werde mit niemandem mehr verkehren, der dieser Nation angehört. Während man alten Vettern in der Provinz, mit denen man blutsverwandt ist, seine Tür verschloß, öffnete man sie den Juden. Jetzt haben wir den Dank dafür. Ach! Ich darf ja nichts sagen, ich habe einen so prächtigen Sohn, aber in jugendlichem Unverstand bringt er jetzt alle nur möglichen Ungereimtheiten hervor«, setzte sie zu d’Argencourt gewandt hinzu, weil dieser eben eine Bemerkung über Robert hatte fallenlassen. »Doch da wir gerade von Robert reden«, wandte sie sich an Madame de Villeparisis, »ist er nicht hier gewesen? Heute ist Samstag, da hätte er möglicherweise auf vierundzwanzig Stunden in Paris sein können, und in diesem Fall hätte er Ihnen sicher einen Besuch abgestattet.«
    In Wirklichkeit glaubte Madame de Marsantes, ihr Sohn werde keinen Urlaub bekommen; da sie aber auf alle Fälle wußte, daß er so oder so nicht bei Madame de Villeparisis erschienen wäre, hoffte sie, wenn sie so täte, als habe sie ihn anzutreffen geglaubt, für ihn bei seiner empfindlichen Tante für alle Besuche, die er nicht gemacht hatte, Verzeihung zu erwirken.
    »Robert hier! Aber ich habe niemals auch nur ein Wort von ihm gehört; ich glaube, ich habe ihn seit Balbec nicht gesehen.«
    »Er ist so beschäftigt, er hat so viel zu tun«, sagte Madame de Marsantes.
    Ein kaum spürbares Lächeln kräuselte die Brauen vonMadame de Guermantes, die den Kreis betrachtete, den sie mit der Spitze ihres Sonnenschirms auf den Teppich zeichnete. Jedesmal, wenn der Herzog allzu offenkundig seiner Gattin untreu gewesen war, hatte Madame de Marsantes ostentativ gegen ihren eigenen Bruder die Partei ihrer Schwägerin ergriffen. Diese bewahrte ein dankbares und zugleich nachtragendes Andenken an diesen Beistand und konnte Robert wegen seiner Eskapaden nicht so ganz böse sein. In diesem Augenblick ging die Tür wieder auf, und herein trat – er.
    »Sieh da«, sagte Madame de Guermantes, »Sanct Lupus in fabula … « 1
    Madame de Marsantes, die mit dem Rücken zur Tür saß, hatte ihren Sohn nicht hereinkommen sehen. Als sie ihn erblickte, durchzuckte die Freude diese Mutter wirklich wie ein Flügelschlag, ihr Körper erhob sich halb, ihr Gesicht bebte, und sie heftete auf Robert einen ungläubig staunenden Blick:
    »Wie, du bist gekommen? Wie schön! Welche Überraschung!«
    »Ach so! Sanct Lupus, Saint-Loup … jetzt verstehe ich«, sagte der belgische Diplomat und lachte dröhnend.
    »Ja, köstlich«, bemerkte trocken Madame de Guermantes, die Wortspiele haßte und dieses hier nur angebracht hatte, indem sie so tat, als mache sie sich über sich selbst lustig.
    »Guten Tag, Robert«, sagte sie; »nun, da sieht man, wie man seine Tante vergißt.«
    Sie sprachen einen Augenblick zusammen und zweifelsohne von mir, denn während Saint-Loup zu seiner Mutter trat, wandte Madame de

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