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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Schande über ihn bringt. Sie sollten Ihren Einfluß benutzen, ihm begreiflich zu machen, welchen Kummer er seiner armen Mutter und uns allen bereitet, indem er unseren Namen in die Gosse zieht.«
    Ich hätte ihm gern geantwortet, daß bei dem würdelosen Mahl nur von Emerson, Ibsen und Tolstoj 2 die Rede gewesen war und daß die junge Person Robert ermahnt hatte, nur Wasser zu trinken. Um Robert, dessen Stolz ich verletzt glaubte, etwas Balsam zu spenden, suchte ich seine Geliebte zu entschuldigen. Ich wußte nicht, daß er in diesem Augenblick ungeachtet seines Zorns auf sie sich selbst Vorwürfe machte. Sogar bei Streitigkeiten zwischen einem Guten und einer Bösen, und wenndas Recht ganz klar auf einer Seite ist, kommt es immer vor, daß eine ganz unbedeutende Angelegenheit der Bösen den Anschein geben kann, in einem Punkte nicht unrecht zu haben. Und da sie alle anderen Punkte übergeht, wird, wofern der Gute sie braucht und unter der Trennung leidet, sein geschwächtes Selbstgefühl ihn gegen sich selber einnehmen, er wird sich an die aus der Luft gegriffenen Vorwürfe erinnern, die gegen ihn vorgebracht wurden, und sich fragen, ob diese nicht doch irgendwo begründet waren.
    »Ich glaube, ich hatte unrecht in der Sache mit dem Kollier«, sagte Robert zu mir. »Ich habe es sicher nicht böse gemeint, aber ich weiß, daß die anderen sich nicht auf den gleichen Standpunkt stellen wie wir. Sie hat eine harte Kindheit gehabt. Für sie bin ich eben trotzdem der Reiche, der glaubt, für Geld sei alles zu haben, gegen den der Arme nicht aufkommen kann, ob es sich nun darum handelt, Boucheron auf seiner Seite zu haben oder vor Gericht einen Prozeß zu gewinnen. Gewiß war sie grausam gegen mich, obwohl ich immer nur ihr Bestes wollte. Aber ich verstehe das, sie denkt, ich wolle sie fühlen lassen, daß man sie mit Geld halten kann, was nicht der Wahrheit entspricht. Wo sie mich doch so sehr liebt! Was mag sie wohl denken, diese arme Kleine! Wenn du wüßtest, sie ist so voll Zartgefühl, ich kann es dir gar nicht sagen, sie hat oft für mich großartige Dinge gemacht. Wie unglücklich muß sie in diesem Augenblick sein! Auf alle Fälle, was auch geschieht, ich will nicht, daß sie mich für einen Flegel hält, ich laufe zu Boucheron und hole das Kollier. Wer weiß, vielleicht sieht sie, wenn ich das tue, daß sie unrecht hatte. Siehst du, ich kann eben den Gedanken einfach nicht ertragen, daß sie jetzt solchen Kummer hat! Was man selber leidet, ist nichts, denn das kennt man. Aber wenn ich mir sagen muß, daß sie unglücklich ist, und es mir doch nicht vorstellenkann, könnte ich wahnsinnig werden; ich würde sie lieber nie wiedersehen als sie leiden lassen. Soll sie doch glücklich sein ohne mich, wenn es sein muß, ich verlange sonst nichts. Hör zu, du weißt ja, für mich bedeutet alles, was sie angeht, unermeßlich viel, es ist für mich eine geradezu kosmische Angelegenheit; ich fahre jetzt schnellstens zu dem Juwelier und dann gleich zu ihr, um sie um Verzeihung zu bitten. Aber bis ich bei ihr bin, was mag sie da von mir denken? Wenn sie nur wüßte, daß ich komme! Du könntest doch für alle Fälle bei ihr erscheinen; wer weiß, vielleicht renkt sich alles wieder ein. Vielleicht«, sagte er mit einem Lächeln, als wage er nicht, an einen solchen Traum zu glauben, »essen wir alle drei auf dem Land zu Abend. Aber das kann man noch gar nicht wissen, ich bin ihr gegenüber so ungeschickt; arme Kleine, am Ende verletze ich sie womöglich noch einmal. Und vielleicht steht ihr Entschluß überhaupt schon unwiderruflich fest.«
    Robert zog mich ganz unerwartet energisch zu seiner Mutter hin.
    »Adieu«, sagte er zu ihr, »ich muß gehen. Ich weiß noch nicht, wann ich wieder Urlaub habe, bestimmt nicht vor vier Wochen. Sobald ich etwas weiß, schreibe ich Ihnen.«
    Sicherlich war Robert keiner jener Söhne, die glauben, wenn sie in einer Gesellschaft mit ihrer Mutter zusammentreffen, durch eine Haltung betonter Ungeduld ihr gegenüber das Lächeln und die Grüße, die sie an Fremde wenden, aufwiegen zu müssen. Nichts ist verbreiteter als diese abscheuliche Rache derjenigen, die offenbar meinen, Grobheit gegenüber den Ihrigen sei eine natürliche Ergänzung zum Galaanzug. Was die arme Mutter auch sagt, unverzüglich bekämpft ihr Sohn, als sei er gegen seinen Willen zu der Veranstaltung hingeschleppt worden und lasse sich nun seine Anwesenheit teuer bezahlen,mit ironischem, scharfem, grausamem Widerspruch jede

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