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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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und Trauer vermischten Erinnerung einen ungetrübt sanftmütigen, unendlich und unversehrt anhaltenden Eindruck von ihr nach Balbec mitzutragen.
    Immer wieder unterbrach sich Madame de Marsantes in ihrem Gespräch mit Robert, um mir zu sagen, wie oft er ihr von mir erzählt habe und wie sehr er mich liebe; sie bemühte sich in einer Weise um mich, die mir beinahe weh tat, weil ich ihre Angst spürte, sich meinetwegen mit diesem Sohn zu zerstreiten, den sie heute noch nicht gesehen hatte, mit dem endlich allein zu sein sie ungeduldig erwartete und über den sie weniger Macht zu haben glaubte als ich, so daß sie auf die meinige Rücksicht nehmen wollte. Da sie zuvor gehört hatte, wie ich Bloch nach dem Ergehen von Monsieur Nissim Bernard, seinem Onkel, fragte, erkundigte sich Madame de Marsantes, ob das derselbe sei, der in Nizza gelebt habe.
    »In diesem Fall hat er dort Monsieur de Marsantes vor meiner Heirat gekannt«, sagte sie. »Mein Mann hat mir oft von ihm als von einem ausgezeichneten Mann mit einem gütigen, großen Herzen gesprochen.«
    Kaum zu glauben, daß er für einmal nicht gelogen hat, hätte Bloch gedacht.
    Die ganze Zeit über hätte ich Madame de Marsantes gern zu verstehen gegeben, daß Robert ihr unendlich mehr zugetan sei als mir und daß ich, auch wenn sie mir feindselig entgegengetreten wäre, nie versuchen würde, ihn gegen sie einzunehmen, ihn von ihr zu lösen. Aber seitdem Madame de Guermantes gegangen war, konnte ich Robert freier beobachten und bemerkte nun erst, daß sich in ihm von neuem eine Art von Zorn zuregen schien, der sich auf seinem hart und düster gewordenen Gesicht abzeichnete. Ich fürchtete, er möchte sich in der Erinnerung an die Szene dieses Nachmittags mir gegenüber gedemütigt fühlen, weil er sich so rauh von seiner Geliebten hatte behandeln lassen, ohne ihr entgegenzutreten.
    Plötzlich machte er sich von seiner Mutter los, die ihm den Arm um den Hals gelegt hatte, trat zu mir, zog mich hinter den kleinen blühenden Ladentisch von Madame de Villeparisis, an dem diese sich wieder niedergelassen hatte, und gab mir ein Zeichen, ihm in den kleinen Salon zu folgen. Ich eilte ihm nach, als Monsieur de Charlus, der glauben mochte, ich strebe dem Ausgang zu, den Fürsten von Faffenheim, mit dem er sich unterhielt, brüsk stehenließ und eine blitzartige Wendung vornahm, durch die er sich genau mir gegenüber befand. Mit Beunruhigung sah ich, daß er den Hut genommen hatte, in dessen Tiefe ein G mit einer Herzogskrone eingeprägt war. Unter der Tür des kleinen Salons sagte er mir, ohne mich anzusehen:
    »Da Sie jetzt offenbar in Gesellschaft gehen, machen Sie mir doch einmal das Vergnügen, mich zu besuchen. Es ist allerdings ziemlich kompliziert«, setzte er mit einer Miene berechnender Geistesabwesenheit hinzu, als handle es sich dabei um ein Vergnügen, das er nicht wieder zu haben fürchtete, wenn er sich die Gelegenheit, die Mittel zu seiner Verwirklichung mit mir zu vereinbaren, entgehen ließe. »Ich bin wenig zu Hause, Sie müssen mir vorher schreiben. Aber ich möchte Ihnen das lieber in größerer Ruhe erklären. Ich werde in ein paar Minuten aufbrechen. Begleiten Sie mich vielleicht ein Stück? Ich halte Sie nicht lange auf.«
    »Sie sollten achtgeben, Baron«, sagte ich zu ihm. »Sie haben aus Versehen den Hut eines anderen Besuchers genommen.«
    »Sie wollen mich hindern, meinen Hut mitzunehmen?«
    Ich vermutete – da mir dergleichen selbst kurz vorher zugestoßen war – daß er, weil jemand ihm den seinen entführt hatte, aufs Geratewohl einen anderen genommen hatte, um nicht barhaupt heimzukehren, und daß ich ihn durch Aufdecken seiner List in Verlegenheit brachte. Ich bestand deshalb auch nicht darauf. Ich bemerkte, ich müsse erst noch rasch ein paar Worte mit Robert wechseln. »Er ist gerade im Gespräch mit diesem Trottel von Herzog von Guermantes«, setzte ich hinzu. »Reizend, was Sie mir da sagen, ich richte es gern meinem Bruder aus.« – »Ach! Sie meinen, Monsieur de Charlus könne sich dafür interessieren?« (Ich stellte mir vor, daß ein Bruder von ihm ebenfalls Charlus heißen müsse. Saint-Loup hatte mir zwar in Balbec ein paar Belehrungen in dieser Hinsicht erteilt, doch hatte ich sie vergessen.) 1 »Wer redet denn von Monsieur de Charlus?« fragte der Baron sehr von oben herab. »Gehen Sie nur zu Robert. Ich weiß, daß Sie heute morgen an einem dieser ausgelassenen Dejeuners teilgenommen haben, die er mit einer Frau abhält, die

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