Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Beschneidung oder einer Darbietung jüdischer Sänger, beiwohnen zu lassen. Oder er könnte einen Saal mieten und mir mit irgendeinem biblischen Divertissement aufwarten, so wie die Mädchen von Saint-Cyr Racines Szenen aus den Psalmen aufführten, um Ludwig xiv. zu zerstreuen. 1 Vielleicht könnten Sie sogar irgendwelche komischen Auftritte veranstalten, zum Beispiel einen Kampf zwischen Ihrem Freund und seinem Vater, bei dem er ihn verletzen würde wie David den Goliath. Das würde eine ergötzliche Farce ergeben. Er könnte sogar, wenn er schon dabei ist, tüchtig auf seiner Mutter herumprügeln, dem alten Aas oder Rabenaas, wie meine alte Kinderfrau sagen würde. Das wäre ganz ausgezeichnet und kein unerfreulicher Anblick für uns beide, hm?, mein junger Freund; denn wir lieben doch exotische Schauspiele, und Prügel für diese außereuropäische Kreatur wären eine verdiente Züchtigung für ein altes Kamel.« Als er diese abscheulichen und an Wahnsinn grenzenden Reden führte, drückte Charlus meinen Arm so fest, daß es schmerzte. Ich erinnerte mich, wie die Familie des Barons viele Züge seiner bewundernswerten Güte jener alten Kinderfrau gegenüber anführte, deren molièrehafte Volkssprache er soeben in Erinnerung gerufen hatte, und sagte mir, daß die bisher, wir mir schien, wenig untersuchten Beziehungen zwischen Güte und Schlechtigkeit – so vielfältig sie auch sein mögen – in ein und demselben Herzen interessant festzustellen wären.
Ich teilte ihm mit, daß Madame Bloch jedenfalls nicht mehr am Leben sei und daß ich für fraglich hielte, wieweit Monsieur Bloch Vergnügen an einem Spiel haben würde, das ihn ohne weiteres ein Auge kosten könnte.Charlus schien böse zu werden. »Das«, meinte er, »ist eine Frau, die unrecht gehabt hat, zu sterben. Was nun die Augen angeht, so ist ja die Synagoge gerade blind, sie sieht die Wahrheit des Evangeliums nicht. 1 Auf alle Fälle bedenken Sie, welche Ehre es für alle diese unglücklichen Juden sein muß, die vor der törichten Wut der Christen zittern, sehen zu dürfen, daß ein Mann wie ich geruht, sich an ihren Spielen zu ergötzen.« In diesem Augenblick sah ich Bloch senior daherkommen, wahrscheinlich ging er seinem Sohn entgegen. Er sah uns nicht, aber ich bot Charlus an, ihn ihm vorzustellen. Ich hatte nicht geahnt, welchen Zorn ich bei meinem Begleiter damit entfesseln würde: »Ihn mir vorstellen! Ja, haben Sie denn gar kein Gefühl für Werte! So leicht lernt man mich nicht kennen. Im vorliegenden Falle läge zudem eine doppelte Unschicklichkeit vor in Gestalt der Jugendlichkeit des Vorstellenden und der Unwürdigkeit des Vorgestellten. Höchstens könnte ich, wenn man mir eines Tages eine asiatische Vorstellung der geschilderten Art böte, an diesen gräßlichen Wicht ein paar gnädige Worte richten, aber nur unter der Bedingung, daß er sich von seinem Sohn gehörig hat durchprügeln lassen. Ich könnte dann so weit gehen, ihm meine Befriedigung auszudrükken.« Monsieur Bloch im übrigen gab auf uns gar nicht acht. Er war gerade dabei, Madame Sazerat ausführlich zu grüßen, was von ihr sehr gut aufgenommen wurde. Ich war darüber erstaunt, denn früher in Combray war sie empört gewesen, daß meine Eltern den jungen Bloch empfingen, so antisemitisch war sie eingestellt. Aber die Parteinahme für Dreyfus hatte wie ein Luftstrom vor einigen Tagen Monsieur Bloch bis zu ihr hingeweht. Der Vater meines Freundes hatte Madame Sazerat reizend gefunden und fühlte sich durch den Antisemitismus dieser Dame ganz besonders geschmeichelt, denn er sah darin einen Beweis für die Aufrichtigkeit ihrer Überzeugungund die Wahrheit ihrer Meinung, daß Dreyfus unschuldig sei; auch die Tatsache, daß sie ihm erlaubt hatte, sie zu besuchen, erhielt dadurch besonderen Wert. Er hatte sich nicht einmal verletzt gefühlt, als sie gedankenlos in seiner Gegenwart bemerkte: »Drumont 1 legt es darauf an, die Revisionisten mit Protestanten und Juden in einen Topf zu werfen. Welch reizende Promiskuität!« – »Bernard«, hatte er voller Stolz beim Nachhausekommen zu Nissim Bernard gesagt, »sie hat Rassenvorurteile, weißt du!« Nissim Bernard aber hatte nichts geantwortet, sondern nur einen Engelsblick zum Himmel emporgesandt. In seiner Trauer über das Unglück der Juden und in Erinnerung an seine Freundschaften mit Christen, bei einer im Laufe der Jahre wachsenden Neigung zu Manieriertheit und geziertem Wesen – aus welchen Gründen wird man später sehen
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