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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Vielleicht würde ich, wenn ich Sie mit den großen diplomatischen Verflechtungen vertraut mache, selbst wieder Geschmack daran finden und mich endlich daranmachen, interessante Dinge zu unternehmen, an denen Sie teilhaben würden. Aber bevor man das weiß, muß ich Sie häufig sehen, sehr häufig, jeden Tag.«
    Ich wollte mir diese unverhoffte Geneigtheit des Barons zunutze machen und ihn bitten, mir eine Begegnung mit seiner Schwägerin zu verschaffen, aber in diesem Augenblick wurde mein Arm durch eine Art von elektrischem Schlag beiseite geschleudert. Dieser rührte daher, daß Charlus unerhört rasch seinen Arm unter dem meinen weggezogen hatte. Obwohl er, während er redete, unaufhörlich seine Blicke nach allen Seiten schweifen ließ, hatte er erst jetzt Monsieur d’Argencourt erkannt, der aus einer Seitenstraße kam. Als dieser uns sah, schien er unangenehm berührt, warf mir einen mißtrauischen Blick zu, fast dem für ein Wesen anderer Rasse bestimmten Blick gleich, den Madame de Guermantes an Bloch gewandt hatte, und versuchte, uns aus dem Weg zu gehen. Aber es schien beinahe, als lege Charlus Wert darauf, ihm zu zeigen, daß er sich keineswegs vor ihm zu verbergen wünsche, denn er rief ihn her und sagte etwas gänzlich Belangloses zu ihm. Vielleicht, weil er fürchtete, d’Argencourt erkenne mich nicht wieder, erklärte Charlus, ich sei sehr befreundet mit Madame de Villeparisis, der Herzogin von Guermantes und Robert de Saint-Loup; er selbst, Charlus, sei ein alter Freund meiner Großmutter und schätze sich glücklich, einen Teil der Sympathie, die er für sie hege, auf den Enkel übertragen zu dürfen. Nichtsdestoweniger stellte ich fest, daß d’Argencourt, dem mein Name bei Madame de Villeparisis kaum genannt worden war und dem Charlus so ausführlich über meine Familie berichtete, kühler zu mir war als vor einer Stunde; sehr lange Zeit hindurch blieb es bei jeder Begegnung ebenso. Er betrachtete mich an jenem Abend mit einer Neugier, die nichts von Sympathie in sich schloß, ja, er schien sogar einen gewissen Widerwillen zu überwinden, als er mir beim Abschied nach kurzem Zögern seine Hand hinstreckte, die er sofort wieder zurückzog.
    »Ich bedaure diese Begegnung,« sagte Charlus zu mir. »Dieser d’Argencourt, gut geboren, aber schlecht erzogen, ein mehr als mittelmäßiger Diplomat, miserabler Ehemann und übler Schürzenjäger, ein Schurke wie aus einem Schmierenstück, ist einer jener Menschen, die unfähig sind, wirklich große Dinge zu begreifen, aber sehr wohl imstande, sie gründlich zu hintertreiben. Ich hoffe, daß unsere Freundschaft eines davon sein wird, wenn sie zustande kommen sollte, und hoffe, daß Sie mir die Ehre erweisen werden, sie dann so sehr wie ich selbst vor den Fußtritten eines dieser Esel zu bewahren, die aus Mangel an Beschäftigung, aus Ungeschicklichkeit oder Bosheit zerschlagen, was für die Dauer bestimmt zu sein schien. Leider sind die meisten Leute der Gesellschaft aus diesem Holz geschnitzt.«
    »Die Herzogin von Guermantes scheint sehr intelligent zu sein. Wir sprachen doch eben von einem eventuellen Krieg. Offenbar hat sie in dieser Hinsicht große Kenntnisse.«
    »Sie hat gar keine«, gab Charlus kurz angebunden zurück. »Frauen, und übrigens auch viele Männer, verstehen nichts von dem, wovon ich sprechen wollte. Meine Schwägerin ist eine entzückende Frau, die sich einbildet, noch in der Zeit der Romane Balzacs zu leben, wo die Frauen auf die Politik Einfluß genommen haben. Der Umgang mit ihr könnte sich im gegenwärtigen Augenblick nur ungünstig für Sie auswirken, wie übrigens jeder Verkehr in der Gesellschaft. Das ist gerade eines der sehr wichtigen Dinge, die ich Ihnen sagen wollte, als dieser Dummkopf uns unterbrochen hat. Das erste Opfer, daß Sie mir bringen müssen – ich werde ebenso viele von Ihnen fordern, wie ich Ihnen Geschenke mache –, besteht darin, die Gesellschaft zu meiden. Ich habe darunter gelitten, Sie bei dieser lächerlichen Veranstaltung zu sehen. Sie werden mir antworten, daß ja auch ich soeben dortwar, aber für mich handelt es sich dabei nicht um eine mondäne Veranstaltung, sondern um einen Familienbesuch. Wenn Sie dann später einmal ein gemachter Mann sind, können Sie ruhig, falls es Ihnen Spaß macht, für einen Augenblick in die Gesellschaft hinuntersteigen. Ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, wie nützlich ich Ihnen dabei sein kann. Das ›Sesam‹ des Hauses Guermantes und aller derer, bei denen es

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