Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
nützliche, aber in ihrer Art unendlich rührendere Angebote (eine Art, die eine Mischung war von höchster Intelligenz, seltenem Großmut und glücklichstem Ausdruck) ließ mir der Erbgroßherzog von Luxemburg zukommen. 2 Ich hatte ihn in Balbec kennengelernt, wo er zum Besuch einer seiner Tanten, der Prinzessin von Luxemburg, geweilt hatte, als er erst Graf von Nassau war. Ein paar Monate darauf hatte er die bezaubernde Tochter einer anderen Prinzessin von Luxemburg geheiratet, die als einzige Tochter eines Fürsten, der ein riesiges Mühlenimperium besaß, außerordentlich reich war. Daraufhin hatte ihn der Großherzog von Luxemburg, der selbst keine Kinder hatte und seinen Neffen Nassau abgöttisch liebte, durch die Kammer zum Thronfolger erklären lassen. Wie in allen Ehen dieser Art ist der Ursprung des Vermögens Hinderungsgrund und causa efficiens in einem. Ich erinnerte mich an diesen Grafen von Nassau als an einen der hervorragendsten jungen Männer, denen ich je begegnet war, schon damals von einer düster strahlenden Liebe zu seiner Verlobten verzehrt. Ich war sehr gerührt über die Briefe, die er mir während der Krankheit meiner Großmutter schrieb, und Mama, die ihrerseits tief bewegt war, griff traurig einen Ausspruch ihrer Mutter auf: die Sévigné hätte es nicht besser sagen können.
Am sechsten Tag mußte Mama, um den Bitten meiner Großmutter nachzugeben, diese einen Augenblick verlassen und so tun, als gehe sie sich ausruhen. Ich hätte, damit meine Großmutter einschlafen könne, gewünscht, Françoise wäre ganz still bei ihr sitzen geblieben. Trotzmeiner dringenden Bitten verließ sie jedoch das Zimmer; sie liebte meine Großmutter zwar, in ihrem klarblickenden Pessimismus aber gab sie sie bereits auf. Sie hätte ihr gern alle erdenkliche Fürsorge zukommen lassen, doch man hatte ihr mitgeteilt, daß draußen ein Elektromonteur wartete, der schon sehr lange in seiner Firma tätig und Schwiegersohn des Inhabers war, zudem in unserem Hause, in das er bereits seit langen Jahren kam, besonders aber von Jupien sehr geschätzt wurde. Dieser Arbeiter war bestellt worden, bevor meine Großmutter krank geworden war. Meiner Ansicht nach hätte man ihn wieder fortschicken oder ruhig warten lassen können. Doch das Protokoll von Françoise gestattete dergleichen nicht; für sie hätte dies bedeutet, es an Zartgefühl diesem braven Mann gegenüber fehlen zu lassen; der Zustand meiner Großmutter zählte daneben nicht mehr. Als ich nach einer Viertelstunde am Ende meiner Nervenkraft sie in der Küche suchen ging, fand ich sie mit ihm plaudernd auf dem Vorplatz des Personalaufgangs, dessen Tür offenstand, was den Vorteil hatte, daß, wenn jemand von uns kam, die dort Stehenden so tun konnten, als seien sie gerade im Begriff auseinanderzugehen, jedoch den Nachteil, einen abscheulichen Luftzug zu verursachen. Françoise verließ also den Arbeiter, nicht ohne ihm noch ein paar zuvor vergessene Höflichkeitsworte an seine Frau und seinen Schwager nachzurufen. Dieses für Combray so charakteristische Bemühen, nur ja allen Formen zu genügen, übertrug Françoise auch auf die Außenpolitik. Toren bilden sich ein, das weite Feld sozialer Phänomene biete eine ausgezeichnete Gelegenheit, tiefer in die menschliche Seele einzudringen, während sie doch einsehen sollten, daß sie vielmehr nur durch Hinabsteigen in die Tiefen des Individuums eine Chance haben, diese Phänomene zu verstehen. 1 Françoise hatte dem Gärtner in Combray tausendmal wiederholt, derKrieg sei das unsinnigste aller Verbrechen und nur das Leben etwas wert. Als aber der Russisch-Japanische Krieg ausbrach, war es ihr dem Zaren gegenüber peinlich, daß wir nicht in den Krieg zogen, um »den armen Russen« zu helfen, »wo man doch eine Allianz mit ihnen ist«, sagte sie. Sie fand es sehr unzart Nikolaus ii. gegenüber, der »immer so gute Worte für uns gehabt« hatte; das ging auf den gleichen Kodex zurück, der ihr untersagte, Jupiens Bitte abzuschlagen, ein Gläschen Likör anzunehmen, obwohl sie wußte, daß »es ihr schwer aufliegen« würde, und der gleiche Kodex bewirkte, daß sie so kurz vor dem Tod meiner Großmutter geglaubt hätte, den gleichen Formfehler zu begehen, den sie in Frankreichs Neutralität Japan gegenüber erblickte, wenn sie sich diesem redlichen Arbeiter gegenüber nicht persönlich entschuldigte, wo er sich unseretwegen solchen Unbequemlichkeiten unterzogen hatte.
Sehr bald wurden wir glücklicherweise Françoises
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