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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Raum, auf den sich der Ausdruck beschränkte, kompensieren wollte, ließ er darin die ganze Glut seiner Bereitwilligkeit, die über heitere Gelöstheit hinausging und beinahe ins Maliziöse abglitt, auffunkeln; er trieb die Finessen der Liebenswürdigkeit derartig auf die Spitze, daß ein Augenzwinkern des geheimen Einverständnisses, vertraulicher Mitteilung und versteckter, spießgesellenhafter Anspielung daraus wurde; schließlich übersteigerte er die Freundschaftsbeteuerungen bis zu einem Geständnis wahrhafter Zärtlichkeit, bis zur Liebeserklärung, indem er verstohlen, unsichtbar für dieSchloßbesitzerin, nur für uns allein, etwas geradezu Schmachtendes aufglimmen ließ – eine liebestrunkene Iris in einem zu Eis erstarrten Gesicht.
    Gerade am Tag zuvor hatte er meine Eltern gebeten, sie möchten mir erlauben, daß ich an jenem Abend mit ihm zur Nacht esse. »Kommen Sie, leisten Sie Ihrem alten Freund Gesellschaft«, hatte er zu mir gesagt. »Wie der Blumenstrauß, den jemand uns von der Reise schickt aus einem Lande, in das wir nie mehr zurückkehren werden, lassen Sie mir aus der Ferne Ihrer Jugend noch einmal den Duft jener Blumen der Lenze zukommen, durch die auch ich vor vielen Jahren gewandelt bin. Kommen Sie mit der Primel, dem Filzkraut, der Butterblume, kommen Sie mit dem Sedum, aus dem der Lieblingsstrauß der Balzacschen Flora besteht, mit der Osterblume, dem Maßliebchen und dem Gartenschneeball, der in den Wegen Ihrer Großtante zu duften beginnt, wenn der letzte Schnee der österlichen Schauer noch nicht geschmolzen ist. Kommen Sie mit dem ruhmreichen, Salomo würdigen Seidenkleid der Lilie, dem vielfarbigen Email der Stiefmütterchen, kommen Sie aber vor allem mit dem frischen Lufthauch der letzten kühlen Tage, der für die beiden Schmetterlinge, die seit heute morgen vor den Toren harren, die erste Rose von Jerusalem aufwecken wird.« 1
    Zu Hause fragten sie sich, ob man mich dennoch zum Abendessen zu Monsieur Legrandin gehen lassen sollte. Meine Großmutter wollte indes nicht glauben, daß er unhöflich gewesen sei. »Ihr müßt doch selber sagen, daß er immer so einfach gekleidet daherkommt, daß es wirklich nicht aussieht, als wolle er den Weltmann spielen.« Sie erklärte, auf alle Fälle, selbst wenn man das Schlimmste annähme, sei es besser, so zu tun, als habe man es nicht bemerkt. Tatsächlich hegte wohl auch mein Vater, der sich noch am meisten über LegrandinsHaltung ärgerte, einen letzten Zweifel darüber, was sie bedeuten sollte. Sie war wie jede andere Haltung oder Handlung, worin sich der tiefere, verborgene Charakter einer Person offenbart: sie läßt sich mit früheren Reden nicht in Einklang bringen, und wir können sie nicht durch die Aussage des Schuldigen bestätigen, der sie niemals eingestehen wird; wir sind also völlig auf unsere Sinne angewiesen und fragen uns dann doch angesichts dieser ganz isoliert dastehenden, zusammenhanglosen Erinnerung, ob wir nicht einer Täuschung zum Opfer gefallen sind, so daß ein solches Verhalten, das doch das einzig aufschlußreiche ist, oft noch Zweifel in uns bestehen läßt.
    Ich speiste mit Legrandin draußen auf der Terrasse; es war Mondschein: »Es herrscht heute so eine hübsche Art von Stille, nicht wahr«, sagte er zu mir; »für wunde Herzen, wie das meine es ist, hat ein Romanschriftsteller, den Sie später lesen werden, einzig Dunkel und Schweigen als angemessen betrachtet. 1 Und sehen Sie, mein Sohn, es kommt im Leben eine Stunde, von der Sie noch sehr weit entfernt sind, wo die müden Augen nur noch ein Licht vertragen, jenes nämlich, das eine schöne Nacht wie diese hier bereitet und durch das Dunkel dringen läßt, in dem das Ohr keine Musik mehr erkennt als die, die das Mondlicht auf der Flöte des Schweigens spielt.« Ich lauschte den Worten Monsieur Legrandins, die mir immer so angenehm schienen; doch stark beschäftigt mit der Erinnerung an eine Frau, die ich letzthin zum ersten Mal gesehen hatte, kam ich auf die Idee, daß Legrandin, von dem ich jetzt wußte, daß er Beziehungen zu dem Adel der Umgegend hatte, sie vielleicht kenne, raffte ich all meinen Mut zusammen und fragte ihn rundheraus: »Kennen Sie, Monsieur Legrandin, die Schloßherrin … die Damen von Guermantes?« wobei es mir gleichzeitig Genuß bereitete, diesen Namenauszusprechen und durch die bloße Tatsache, daß ich ihn aus meinen Träumereien herausnahm und ihm eine objektive, tönende Existenz verlieh, eine gewisse Macht über ihn

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