Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Nationalstaaten. Nach einer weiteren Ausweisung ging er 1837 nach England, wo er, sicher vor Vertreibung, fast sein ganzes restliches Leben verbrachte. In London lebte er allein, genügsam, scheinbar nur von Kaffee, er arbeitete zwanghaft bis tief in die Nacht und verfasste unermüdlich Briefe, Artikel und Propagandaschriften. Er mochte die Engländer und sie ihn, denn sie sahen diesen schwermütigen Mann mit dem hageren Gesicht und den großen Augen als die romantische Gestalt, die er zweifellos war, einen idealistischen Befreier, der sich seiner Sache ganz verschrieben hatte.
Italien wurdenoch zu Mazzinis Lebzeiten geeint, aber nicht von seinen Leuten, sondern von deren Widersachern unter der Führung Cavours, der erst an die Einigung glaubte, als sie schon in greifbarer Nähe lag. Die Sieger schrieben Geschichte, jedenfalls weitgehend, und sie gönnten Mazzini keinen Anteil am Ruhm, sondern verleumdeten ihn und leugneten seinen Beitrag zum großen Werk der Einheit. Für sie war Mazzini ein Terrorist, ein Revolutionär und Feind Italiens, obwohl er in vielfacher Hinsicht Bewunderung verdient, denn er war ein großzügiger, unbestechlicher Mensch, Internationalist, nicht Chauvinist, ein Verächter der Todesstrafe und Verteidiger von Frauenrechten und sozialer Gerechtigkeit. Nicht zu leugnen ist, dass er auch eine gefühllose, unsympathische Seite hatte. Er operierte vom sicheren London aus und schickte junge Idealisten zu tödlichen Expeditionen nach Italien, weil »Ideen rasch reifen, wenn sie mit dem Blut von Märtyrern genährt werden«, wie er es unverblümt formulierte. Er glaubte fest, dass Italiener kämpfen und sterben müssten, um ihre Nation zu verwirklichen. Es sei »besser zu handeln und zu scheitern, als absolut nichts zu tun«. *137
Diese Ansicht teilten zwei Anhänger Mazzinis, die Brüder Bandiera aus Venedig, die 1844 den tollkühnsten, sinnlosesten und desorganisiertesten Aufstand überhaupt anzettelten. Sie waren Offiziere bei der österreichischen Marine (in der ihr Vater als Vizeadmiral diente), aber auch Feinde Habsburgs, die, sobald klar war, dass sie unter Verdacht standen, der Festnahme entkommen und auf die Ionischen Inseln fliehen konnten. Dort erfuhren sie von einer in Kalabrien ausgebrochenen Revolte und beschlossen, sie zu unterstützen, was ihre Mutter veranlasste, sie in Korfu aufzuspüren und ihnen zu erklären, sie seien verrückt. »Was für eine Torheit hat dich ergriffen«, fragte sie ihren älteren Sohn, »einem wahnsinnigen Impuls folgend deine Eltern, deine Frau, Rang, Namen und Familie hinzuwerfen, für nichts?. *138
Ohne Rücksicht auf ihre verzweifelte Mutter machten sich die Bandieras mit einer Handvoll Mitverschwörer auf und landeten an der kalabrischen Küste, wo sie den Sand küssten und erstaunt feststellten, dass es tagsüber für Fußmärsche zu heiß war. Enttäuscht, dass sie vor Ort keine Unterstützung fanden, erfuhren sie, dass die Revolte, von der sie in der Zeitung gelesen hatte, unbedeutend gewesen und ein paar Wochen zuvor niedergeschlagen worden war. In einem Gasthaus wurden sie von einheimischen Milizen überrascht, gefangengenommen und schließlich zum Prozess nach Cosenza gebracht. Für die Hinrichtung der beiden Brüder und ihrer sieben Gefolgsleute wurde Mazzini verantwortlich gemacht, dessen Aufrufe zwar viele solcher Eskapaden angeregt, der von dieser Expedition allerdings abgeratenhatte. Doch der Verschwörer in London fand Trost im »Märtyrertum« der Brüder. Es spiele keine Rolle, schrieb er, dass den Bandieras kein Erfolg beschieden gewesen sei, denn sie seien »Apostel« und »Märtyrer«: »Der Engel des Märtyrertums ist der Bruder des Siegesengels«. *139
1848, im Jahr der europäischen Revolutionen, stürzte Fürst Metternich, der ein Jahr zuvor gesagt hatte, Italien sei »ein geographischer Begriff«. Aber diesmal war es Italien, das auf dem Kontinent das Tempo vorgab, noch vor Frankreich unter dem Bürgerkönig, vor dem Deutschen Bund und dem Habsburgerreich. Anfang Januar brach in Sizilien ein Volksaufstand los und zwang drei Wochen später Ferdinand II., seinem Volk eine Verfassung zu geben. Innerhalb von zwei Monaten wurden auch in der Toskana, in Piemont und in Rom Verfassungen verkündet. In Venedig, Mailand, Parma und Modena kam es zu weiteren Rebellionen.
In Italien hatten diese Aufstände vielfältige Ursachen, Motive und Ziele. Sie waren nicht abgestimmt und selten von ähnlichen Missständen oder auch nur ähnlichen
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