Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
aufkeimenden Nationalgefühls im späten Mittelalter war nicht sehr erfolgreich. Die Bewohner der Halbinsel mochten sich aufgrund ihres ökonomischen und kulturellen Reichtums als Italiener fühlen, aber sie hatten keine Vorstellung von einem politischen oder geeinten Italien. Italienische und nichtitalienische Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts fanden es lohnender, darüber zu spekulieren, wer einst die Hauptfeinde der Halbinsel waren. Stets erkannten sie Spanien und Österreich diesen Status zu, ließen dabei aber Frankreich außer Acht, das 1000 Jahre lang immer wieder Feldzüge nach Italien unternommen hatte und damit ein durchaus ernstzunehmender Bewerber um diesen zweifelhaften Rekordwar. Im 16. und 17. Jahrhundert beklagte man die Unterdrückung durch Spanien, später die repressive Politik Österreichs, aber die Herrschaft dieser beiden Großmächte auf der italienischen Halbinsel war sehr unterschiedlich. Die spanische Vorherrschaft wurde 1559 im Vertrag von Cateau-Cambrésis bestätigt, mit dem Frankreich seine Ansprüche auf Mailand aufgab, aus Italien abzog und für den Rest des Jahrhunderts seine Religionskriege auf heimischem Boden ausfocht. Die Bewohner der Halbinsel waren gegenüber ihren neuen spanischen Herren nachsichtiger als die Historiker. Ihr Unmut hielt sich in Grenzen, und sie freuten sich über den Frieden und die Stabilität, die mit ihnen einzogen. Es folgte eine Zeit des Wohlstands, und die Italiener blieben das reichste Volk in Europa. Das sichtbarste Zeugnis der spanischen Herrschaft ist bis heute die Altstadt von Neapel, wo die spanischen Vizekönige Paläste, Kirchen und ein Schloss bauten. Der Bezirk am Stadthügel heißt heute noch Spanisches Viertel, und die Via Toledo, gleichfalls von den Spaniern angelegt, nannte Stendhal »die belebteste und lustigste [Straße] auf Erden«. *94
Seit jeher beschrieb man den Zustand Italiens im 17. Jahrhundert als schwach, arm, dekadent und unterdrückt. Das ist zutreffend und überspitzt zugleich, in jedem Fall aber sind die Missstände nicht allein auf die Spanier zurückzuführen. Dass die Halbinsel zunehmend ländlich und bäuerlich wurde, geht nicht auf ein herrscherliches Dekret zurück. Niemand konnte die Kaufleute daran hindern, ihre Gewinne in Ländereien und nicht in den Handel zu investieren. Das war ein Trend in vielen Teilen Europas, damals wie zu anderen Zeiten auch. Spanien war auch nicht verantwortlich für den Krieg von 1613, der bis 1659 weitere Kriege nach sich zog. Die Schuld lag vielmehr bei Carlo Emanuele I., Herzog von Savoyen, der wie viele Mitglieder seiner Dynastie die Vergrößerung seines Territoriums anstrebte. Mit mehr Berechtigung könnte man Spanien vorwerfen, dass es die Intoleranz und Härte der Kirche und die Greueltaten der Inquisition unterstützte. Aber die Päpste, nicht die Spanier, verfolgten Galilei und verbrannten den Wissenschaftler und Freigeist Giordano Bruno.
Die Spanier wurden oft bezichtigt, Korruption, Provinzialismus und Hispanisierung nach Süditalien gebracht, das Duell und den Stierkampf eingeführt und dem einheimischen Adel die Obsession von Rängen, Titeln und strengem protokollarischen Zeremoniell eingeimpft zu haben. Da jedoch die Lombarden unter der spanischen Herrschaft für solche Bräuche wenig empfänglich waren, kann man folgern, dass die Sizilianer und Neapolitaner wohl einfach mehr Gefallen an ihnen fanden. Wie der Historiker Denis Mack Smith feststellt, »scheinen die spanisch beherrschten Sizilianer vom spagnolismo stärker geprägt worden zu sein als die spanischen Herrscher«. *95 Die Sizilianer machtendie Spanier häufig für ihre Armut verantwortlich, und sie protestierten zu Recht gegen den verhassten macinato , eine ungerechte Steuer auf das Mahlen von Getreide. Doch sie unternahmen kaum eigene Anstrengungen, um ihren Wohlstand zu mehren. Palermo war eine von Schmarotzern bevölkerte Stadt, wo ein Großteil der Adligen lebte – fern ihrer Güter, um die sie sich kaum kümmerten. Die spanischen Herrscher staunten über die Faulheit der Adligen, die gar nicht daran dachten, in ihre Latifundien zu investieren oder Straßen zu bauen. Der Weizen, den die Gutsverwalter exportieren wollten, musste auf Maultieren zur Küste gebracht werden. Trotzdem müssen sich die Spanier, vor allem die Kastilier und die Andalusier, in ihren sizilianischen Untertanen wiedererkannt haben. Auch sie wollten ihr Ansehen durch den Erwerb neuer Landgüter steigern, statt die bereits bestehenden
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