Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Ernani auf die Bühne, aber anderswo fehlte der Name Verdi auf den Plakaten. Wie der Musikwissenschaftler Roger Parker gezeigt hat, hielt sich die Nachfrage nach Risorgimento-Opern bei den Patrioten selbst im wichtigsten Jahr des Risorgimento in Grenzen. Die Bewohner von Bologna, hieß es in einer Theaterzeitschrift, zögen es vor, selbst nationalistische Lieder zu singen, statt I Lombardi auf der Bühne zu sehen. Die Inszenierung von Nabucco in Neapel war eine Enttäuschung, weil das Publikum damals an »den Traditionen des alten Orients« nicht interessiert gewesen sei. Anlässlich einer Aufführung von Attila in Ferrara stellteein anderer Kritiker die Frage, warum es nötig sei, »an eine für Italien so demütigende Epoche zu erinnern«, statt eine »für die heutige Zeit passendere« Oper auf die Bühne zu bringen, die nur »jener Tatsachen gedenkt, die unserer geliebten Heimat Ruhm verleihen«. Parker entdeckte auch, dass Verdis Musik zwischen den »Fünf Tagen« und der Rückkehr Radetzkys vier Monate später nicht auf den Spielplänen des befreiten Mailand stand. Statt dem begabtesten Italiener zu lauschen, der damals komponierte, bevorzugten die Mailänder Chöre unbedeutende Komponisten, die die »Italiener ins Gefecht« riefen und sie beschworen, nicht zu schlafen, »bis Italien unser ist«. *146
All das hätte Verdi nicht überrascht, der sich nie für den maestro della rivoluzione gehalten hatte. Er hatte zwar durchaus patriotische und republikanische Gefühle, er hatte seinen Kindern Namen aus dem antiken Rom gegeben (Virginia und Icilio Romano), die diese Neigungen zu bezeugen schienen, betrachtete sich als Italiener und wollte die Freiheit für Italien. Aber ein leidenschaftlicher Groll gegen Österreich war ihm fremd. 1836 hatte er zum Geburtstag des habsburgischen Kaisers eine Kantate komponiert, und sein erster Auslandsbesuch galt Wien, wo er seinen Nabucco dirigierte, der die Österreicher keineswegs verstörte. Bei seiner Rückkehr nach Parma dirigierte er dieselbe Oper in Anwesenheit der österreichischen Erzherzogin Marie-Louise, die ihm eine Audienz gewährte und ein Geschenk überreichte. Sein nächstes Werk, I Lombardi, war ihr gewidmet.
Verdi fühlte sich also bei den Österreichern wohl, und auch sie hatten keine Probleme mit ihm. Vor 1848 hielt sich ihre Zensur in Grenzen, und selbst danach erlaubten sie Wiederaufnahmen von Attila und Nabucco an der Scala. Einige Änderungen wurden für Ernani verlangt, keine hingegen für Nabucco und auch nicht für Attila. Nur bei I Lombardi mussten merkwürdigerweise die Worte »Ave Maria« durch »Salve Maria« ersetzt werden. Die Zensurbeamten in Lombardo-Venetien und in anderen Teilen Italiens machten sich damals weniger Sorgen um die Politik als um Fragen der Religion und der Moral. Dass in Verdis Stiffelio ein protestantischer Geistlicher mit Verweis auf das Neue Testament seiner ehebrecherischen Frau verzeiht, beunruhigte die Österreicher mehr als ein römischer General, der Attila bittet, ihm Italien zu überlassen.
Die österreichischen Behörden sahen keinen Grund, Verdi vor 1848 für politisch gefährlich zu halten. Der vielseitige und begabte Komponist war nicht bereit, sich auf zeitgenössische italienische Themen zu beschränken. Am liebsten arbeitete er mit Textvorlagen ausländischer Autoren: Nur fünf seiner 26 Opern beruhen auf italienischen Libretti. Zu den Dramatikern, auf die er zurückgriff, zählten Byron, Voltaire, Eugène Scribe und Alexandre Dumas fils , aber am liebsten waren ihm Schiller, Victor Hugo und vor allem Shakespeare. Neben Macbeth lieferte der Engländer auch den Stoff für die beiden letzten und vielleicht bedeutendsten Opern Verdis, den Otello und den unvergleichlichen Falstaff . Shakespeare inspirierte ihn zu langjähriger Beschäftigung mit König Lear, den Verdi in eine großartige, unkonventionelle Oper verwandeln wollte.
Die Ära des Risorgimento war die Epoche der romantischen Oper, und daher suchte die Nachwelt eifrig nach Verbindungen zwischen beidem, auch bei Rossini, Bellini und Donizetti. Doch die beiden Letzteren waren zu früh gestorben und Rossini erschien politisch nicht korrekt. Hin und wieder fand sich in seinen Opern eine patriotische Andeutung. Zum Beispiel besingt der Sopran im Tancredi das cara Italia , während die Protagonistin in L’Italiana in Algeri ihre Zuhörer ermahnt, »an das Vaterland zu denken« und ihre Pflicht zu tun. Der Komponist hatte sogar eine Hymne für Murat
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