Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Damen Mailands konnten ihre Salons nur freitags öffnen, wenn dieScala geschlossen hatte. Die Energie und Begeisterung der Opernkultur bestärkte Nordeuropäer in ihrer Ansicht, Italienisch sei die Sprache der Leidenschaft, der Sinnenlust und des Melodrams. Zweifellos waren viele Italiener damit einverstanden, aber manche fragten sich doch, ob die zwanghafte Beschäftigung mit dem musikalischen Melodrama nicht ihre Sensibilität für Kunst und die Subtilität ihrer Literatur beeinträchtige. Der sizilianische Aristokrat Giuseppe Tomasi di Lampedusa, im Jahr der Uraufführung von La Bohème (1896) geboren, behauptete, die »Opernmanie« habe ein ganzes Jahrhundert lang »sämtliche künstlerischen Energien der Nation absorbiert«. Es habe keine Symphonien und keine erfolgreichen Bühnenstücke geben können, weil »Musik Oper war, Drama Oper war«. Selbst Maler hätten ihre Staffelei verlassen, um die Kulissen für das Gefängnis des Don Carlos und die heiligen Haine der Norma zu malen. 1910, als der Rausch nachließ, glich das intellektuelle Leben Italiens »einem Acker, der in hundert aufeinanderfolgenden Jahren von Heuschrecken heimgesucht worden war«. *141
Die Popularität des Genres ließ zahlreiche neue Opernhäuser entstehen. In dem halben Jahrhundert nach dem Sturz Napoleons wurden in Italien über 600 Theater gebaut, von denen die Hälfte groß genug für Opernaufführungen war. *142 Metropolen wie Venedig und Mailand hatten mehrere Musiktheater, und die meisten Städte Nord- und Mittelitaliens besaßen mindestens eines, auch wenn es noch so beengt war. Der Orchestergraben des Teatro Giglio in Lucca ist so klein, dass die Harfenistin und die Perkussionisten in angrenzenden Logen untergebracht sind. Aber es war leichter, ein Opernhaus zu bauen, als es mit geeigneten Musikern zu besetzen. In der Glanzzeit Donizettis und Bellinis hatte Italien einige große Sänger, aber seine Orchester waren so schlecht, dass es manchmal während der Vorstellung zu Pannen kam. Die beschwingte Ouvertüre von Wilhelm Tell wurde offenbar auf der Halbinsel nie korrekt dargeboten, weil kein Orchester über genügend Cellisten verfügte. Die erfolgreichsten Komponisten legten daher Wert darauf, dass ihre Premieren nur in den besten Opernhäusern stattfanden – San Carlo in Neapel, La Fenice in Venedig und La Scala in Mailand –, ehe deren Ruhm ihrem Werk den Weg nach Paris ebnete. Obwohl die Scala den Spitzenplatz für sich in Anspruch nimmt, war vor 1860 wohl San Carlo das beste Opernhaus Italiens. Die Bourbonen waren selbst zwar keine Opernliebhaber, aber sie gaben eine Menge Geld für ihr Theater aus, bauten das beste Orchester auf und engagierten viele überragende Sänger. Rossini und Donizetti führten ihre Werke dort besonders gern auf.
Um 1840 schien das große Opernrevival im Sande zu verlaufen. Bellini, vielleicht der begabtesteunter den Komponisten (den Wagner ganz besonders verehrte), war 1835 mit nur 33 Jahren gestorben. Rossini hatte noch drei Jahrzehnte vor sich, war aber melancholisch und übergewichtig, komponierte nur noch gelegentlich einen bolero oder eine canzone und schrieb erst 1863 wieder ein größeres Werk, die Petite messe solennelle . Donizetti war noch aktiv, brachte 1842 in Wien eine Oper auf die Bühne und trat als Hofkapellmeister in die Dienste des Kaisers. Aber der freundliche, gutaussehende Mann litt bereits schwer an den Folgen der Syphilis. 1844 wurde er für geisteskrank erklärt und starb vier Jahre später in seiner Heimatstadt Bergamo. Italien brauchte dringend einen neuen Star.
Giuseppe Verdi wurde 1813 in dem Dorf Roncole am Po unweit von Busseto geboren. Da die Region von Frankreich annektiert war, trat er als französischer Staatsbürger ins Leben und wurde auf den Namen Joseph getauft. Nach Napoleons Abdankung im folgenden Jahr wurde er ein Untertan der österreichischen Großherzogin, die in Parma regierte. In mittleren Jahren bezeichnete er sich gern als den »Bauern von Roncole«, obwohl er in Wirklichkeit der Sohn eines Gastwirts war, der es sich immerhin leisten konnte, seine Felder von Landarbeitern bestellen zu lassen und für seinen musikalischen Nachwuchs ein Spinett aus zweiter Hand zu kaufen. Um Giuseppes Kindheit rankt sich noch eine zweite Legende, die er nie entzaubern mochte. Sein angebliches Geburtshaus wurde 1901 zum Nationaldenkmal erklärt und ist heute ein Museum, obwohl er gar nicht dort zur Welt kam. Seine Eltern bezogen diese casa natale erst , als Verdi ein
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