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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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dachten, er würde es noch lange bleiben. Die Regierungszeit seiner vier Nachfolger belief sich im Durchschnitt auf zehn Monate, und dies blieb – mit Ausnahme der 1880er Jahre – typisch für die italienische Politik, bis Mussolini 1922 das Amt des Ministerpräsidenten übernahm.
    Die Eroberung Roms stand nicht im offiziellen Regierungsprogramm, aber viele Turiner hofften, die Stadt werde ihnen wie Neapel in den Schoß fallen. 1862 ermunterten der König und sein Ministerpräsident Urbano Rattazzi insgeheim Garibaldi, diese Aufgabe für sie zu erledigen. Der Eroberer beider Sizilien saß inzwischen zwar als Abgeordneter in Turin, fühlte sich aber im Parlament nicht wohl und sehnte sich nach jubelnden Menschenmengen und aufregenden Feldzügen. Auch verzehrte er sich nach Rom. Im Sommer 1862, während er in Palermo vor einem begeisterten Publikum sprach, rief jemand aus der Menge: »Roma o morte!« (Rom oder Tod!) Der Redner hörte den Zuruf und übernahm ihn als Parole für den Rest des Jahrzehnts. Von der Lombardei bis nach Sizilien verkünden allenthalben Marmortafeln an Gebäuden: »Von diesem Balkon hat Garibaldi eine öffentliche Ansprache gehalten und geschworen: Rom oder Tod!« Niemand hinderte den Volkshelden daran, in Sizilien ein Freiwilligenheer zusammenzustellen und sich mit seinen Kampfgefährten nach Kalabrien einzuschiffen, auch wenn die regierenden Politiker seinem neuen Abenteuer nicht weniger Skepsis entgegenbrachten als seinem Feldzug von 1860. Vielleicht hofften sie, der Papst werde fliehen, wenn er Garibaldi anrücken sah. Vielleicht wollten sie noch einmal den Trick anwenden, Truppen zum Schutz gegen Garibaldi zu entsenden, um das fragliche Gebiet dann selbst zu übernehmen. Was immer sie hofften oder wünschten, sie verloren die Nerven. Sie fürchteten den Zorn Kaiser Napoleons, der sich durch ein Bündnis mit dem Papstbei den französischen Katholiken beliebt machen wollte. Deshalb entsandten sie eine italienische Armee, um die Freiwilligen am Aspromonte in Kalabrien aufzuhalten. Obwohl Garibaldi erkannte, dass er irregeführt und betrogen worden war, befahl er seinen Männern, nicht auf die vorrückenden und angreifenden Soldaten zu schießen. Einige Freiwillige wurden getötet, ihr Anführer trug eine schwere Verletzung am Fußgelenk davon und eine weniger schwere am Oberschenkel. Die anderen ergaben sich. In höhnischer Anspielung auf den Schlachtruf »Rom oder Tod!« meinte D’Azeglio, auf das eine habe man ganz verzichtet, das andere hätten weniger als ein Prozent der Garibaldiner gewählt.
    Die meisten Italiener wollten Turin nicht als ihre Hauptstadt. Es war zu französisch, der französischen Grenze zu nah und zu weit entfernt vom Zentrum der Halbinsel. Zudem hatte es wenig von jener Kultur und Geschichte zu bieten, die in der Zeit der Renaissance und der Stadtstaaten den Ruhm Italiens begründeten. Die meisten Patrioten wollten Rom, aber dies war, zumindest damals, keine Option. Im Jahr 1864 befahl Napoleon den Abzug der französischen Garnison aus Rom unter der Bedingung, dass Italien seine neue Hauptstadt anderswo etabliere und das noch verbliebene päpstliche Territorium, das sogenannte Patrimonium Petri mit Rom und Latium, unangetastet lasse. Es musste also eine Alternative gefunden werden. Mailand, bisweilen als »städtischste Stadt Italiens« (la città più città d’Italia) bezeichnet, wäre die logische – und im Rückblick die richtige – Wahl gewesen, aber wie Turin lag es zu weit nördlich. Außerdem war es politisch eher unbedeutend. Obwohl es Rom als Hauptstadt des Weströmischen Reiches im 4. Jahrhundert abgelöst hatte, war es seit über 300 Jahren Sitz eines Vizekönigs und nicht die Hauptstadt eines unabhängigen Staates.
    Neapel war eine weitere Möglichkeit, die von mehreren Ministern favorisiert wurde, aber es wäre merkwürdig gewesen, eine erst kürzlich eroberte und von vielen geschmähte Stadt zur Hauptstadt zu machen. So fiel die Wahl auf Florenz, aber die Stadt wünschte diese Auszeichnung gar nicht, und Ricasoli bezeichnete sie sogar als »Giftbecher«. Doch die toskanische Stadt erfüllte alle kulturellen und geschichtlichen Kriterien, sie war lange Zeit die Finanzhauptstadt gewesen (bevor sie in dieser Rolle in den 1880er Jahren von Mailand abgelöst wurde). Sie wurde von den Militärs favorisiert, weil sie vom Meer aus nicht beschossen und belagert werden konnte. Im Mai 1865 wurde Florenz offiziell zur Hauptstadt Italiens erhoben, sehr zur

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