Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
man benötigte 40 000 Soldaten, um sie niederzuschlagen.
Am Ende bekam Italien Venedig, wenngleich auf beschämende Art und Weise. Österreich weigerte sich, es dem Verlierer des Kriegs abzutreten. Die Habsburger reichten Venedig an Frankreich weiter, das es seinerseits den Italienern überließ. Die Venezianer, seit 1797 von fremden Herrschern regiert, zeigten angesichts der jüngsten Wendung ihres Schicksals wenig Begeisterung. Jedenfalls gab es keine Volkserhebung zugunsten Italiens oder Vittorio Emanueles. Obwohl der Staat in einem Plebiszit das übliche überwältigende Votum organisierte, war der Mythos des Risorgimento in den Provinzen Venedigs nie so populär und präsent wie in anderen Teilen Italiens. Welche Vorteile die Einigung Italiens bringen sollte, blieb vielen schleierhaft, die sich seit Jahrhunderten mit der sinkenden Bedeutung ihrer Stadt abfinden mussten. »Als Venedig noch Republik war«, klagte 1922 einer seiner Adligen, »galt unser Wort in der ganzen Adria wie ein Gesetz. Heute, da wir ein Teil eines weit größeren Königreichs sind, kann jeder kleine Südslawe uns ungestraft herausfordern!. *174
In den Regionen Venetien und Friaul-Julisch Venetien trifft man heute noch auf die Sehnsucht nach den Habsburgern. Ein offizieller Reiseführer von Treviso beurteilt die historische Rolle Frankreichs in Italien kritisch, während die Österreicher für ihre »kluge Verwaltung« und ihre beachtliche Bautätigkeit gelobtwerden. *175 In Udine nahe der slowenischen Grenze spricht man von den Wohltaten der Habsburgerherrschaft, als hätte man sie selbst erfahren. Und in Cormons, einem hübschen Städtchen inmitten von Weinbergen, feiert man alljährlich im August »den Kaisergeburtstag von Franz Joseph«, dem letzten österreichischen Herrscher Venedigs.
Die demoralisierenden Niederlagen bei Custoza und Lissa und die Aufstände in Sizilien dämpften keineswegs die Leidenschaft für den nächsten Punkt im Programm der Patrioten: die Eroberung Roms. Eine frühere Generation gebildeter Patrioten hatte sich von der Hauptstadt der klassischen Antike kaum inspirieren lassen. Für ihr Projekt, eine nationale Vergangenheit zu schaffen, spielten Ereignisse des Mittelalters wie der Sieg bei Legnano und die Sizilianische Vesper eine wichtigere Rolle als die Satiren des Horaz und Geschichten um das antike Rom. Doch in den 1860er Jahren herrschte unter den Patrioten, von Mazzini bis zu Vittorio Emanuele, Einigkeit über die Bedeutung Roms als künftige Hauptstadt Italiens. Für ihren glühenden Bewunderer Garibaldi war die Stadt eine »Geliebte«, die er »mit all der Glut eines Liebhabers anbetete«. In anderer Stimmung nannte er das päpstliche Rom »ein Krebsgeschwür«, das zu entfernen sei, denn Italien ohne Rom als Hauptstadt sei nicht Italien. *176 Einer der wenigen, die sich dem Gezeter widersetzten, war D’Azeglio. Er hatte gewarnt, die Annexion Neapels werde Italien in große Schwierigkeiten bringen. Jetzt prophezeite er, die Einnahme Roms werde die Kirche und die Katholiken dem Staat in dem Augenblick entfremden, da er ihre Unterstützung nötig hätte. Er gestand, »dass das alte Rom, welches die Geister eines Gibbon, eines Goethe so befruchtete, wenig Eindruck auf mich machte. *177 . Aber er wusste, dass sich womöglich andere von der einstigen Größe Roms blenden ließen, was für das junge Königreich gefährlich werden konnte. Ein neues Italien brauchte eine neue Hauptstadt, nicht eine alte, deren Maßstäben es vielleicht nicht gerecht wurde.
Rattazzi war auch 1867 wieder Ministerpräsident, als Garibaldi erneut versuchte, Rom einzunehmen, und wieder regte er das Unternehmen an, ohne es offiziell zu unterstützen. Die Freiwilligen drangen im Oktober in die Stadt ein, wo es zu einer gescheiterten Erhebung gekommen war, und entschieden ein Scharmützel mit päpstlichen Soldaten für sich. Von den französischen Katholiken unter Druck gesetzt, entsandte Napoleon einige Tage später Streitkräfte nach Italien, um den Papst zu unterstützen und Garibaldi aufzuhalten. Anfang November waren die Freiwilligen bei Mentana nordöstlich von Rom im Begriff, die päpstlichen Truppen zu schlagen, als einige tausend französische Soldaten eintrafen und sie zurückdrängten. Garibaldi zog sich bis an die italienische Grenze zurück und ergab sichschließlich der Obrigkeit. Wie seine Entscheidungen zeigten, gab es nicht nur die Option »Rom oder Tod!« Es gab noch eine dritte.
Bemerkenswert war, dass der Feldzug
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