Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
manchmal auch beleidigend, etwa als er nach dem Vorfrieden von Villafranca 1859 aus Protest seinen Rücktritt einreichte. Ein andermal geriet er so in Rage, dass er die Möbel im Palast mit Fußtritten traktierte und eine Uhr zerschlug. Noch seltsamer benahm er sich, als der König, dessen Gemahlin schon vor Jahren gestorben war, beschloss, das Verhältnis mit seiner Geliebten Rosina Vercellana zu legalisieren. Cavour, der wollte, dass der König eine russische Prinzessin ehelichte, war so empört über das königliche Vorhaben, dass er ihm hinterbrachte, Rosina sei treulos und feiere Orgien. Verständlicherweise war Vittorio Emanuele angesichts dieser allem Anschein nach unwahren Behauptung versucht, seinen Ministerpräsidenten zum Duell zu fordern. *182
Die Piemontesen orientieren sich seit jeher Richtung Norden, Cavour jedoch war schon von seiner Abstammung her dafür prädestiniert. Seine Großmutter väterlicherseits stammte aus Savoyen, einer Region, die Cavour 1860 an Frankreich abtrat. Seine Mutter war Schweizerin. Er selbst war als französischer Staatsbürger geboren, denn 1810 gehörte Piemont zum Napoleonischen Kaiserreich. Unter französischer Herrschaft wurde Cavours Vater Kammerherr am Hof des Generalgouverneurs Fürst Camillo Borghese und beehrte seinen Sohn mit dem Vornamen des Fürsten. Dass die Gemahlin des Gouverneurs, Napoleons Schwester Pauline, seine Patentante wurde, verlieh ihm ein glanzvolleres (später kaum mehr nützliches) Ansehen.
Frankreich und Großbritannien waren die Staaten, die Cavour am meisten bewunderte und viele Male besuchte. Ihre kulturelle Anziehungskraft jedoch hielt sich in Grenzen, weil er kaum kulturelle Interessen an den Tag legte. Nur einmal, bei einem Besuch der schottischen Highlands, nahm er sich einen Roman von Sir Walter Scott vor, um die »romantische Gefühlswelt« kennenzulernen. Im Grunde war er ein Mann der Vernunft, der es zufrieden war, als aufgeklärter Staatsmann zu gelten, und die Romantik blieb ihm fremd, bis er sich in seinen mittleren Jahren zum Nationalismus bekehrte.
Cavours Reisen in jungen Jahren nach England waren hauptsächlich praxisorientiert. Mit unermüdlicher Tatkraft und Begeisterung inspizierte er Gaswerke und Bahnhöfe ebenso wie die Königliche Waffenfabrik von Woolwich. Er besuchte Schiffswerften in Newcastle und Fabriken in den Midlands. Auch wenn er sich in der Pariser Gesellschaft wohler fühlte als in London, war er dochvom Wohlstand Großbritanniens beeindruckt, vom Freiheitssinn, von der Sicherheit und vom Wirken der Regierung. So wurde er zu einem Liberalen, der die politische Freiheit als Grundbedingung für den Wohlstand betrachtete. Der Werdegang William Pitts und Robert Peels überzeugte ihn vom Wert des gemäßigten Fortschritts und eines undogmatischen Vorgehens. Als Befürworter des Freihandels begrüßte er, dass Peel 1846 die Getreidezölle abschaffte, obwohl er selbst niemals nur um eines Prinzips willen mit seiner Partei gebrochen oder seine Karriere geopfert hätte. Ein Journalist aus Süditalien beschrieb ihn einmal, durchaus nachvollziehbar, als »eine Kreuzung aus Sir Robert Peel und Machiavelli«. *183
Cavours Kenntnisse in der Ökonomie kamen Piemont während seiner Zeit als Ministerpräsident sehr zugute, ebenso sein Geschick als Abgeordneter, seine Tatkraft und seine Führungsqualitäten sowie sein Talent als Debattenredner. Er trug dazu bei, das parlamentarische System in einem Land zu festigen, das wenig Erfahrung mit der repräsentativen Demokratie hatte. Aber auch in der Politik konnte er ungerecht und undemokratisch handeln. Manchmal ließ er Mitglieder der Opposition vom Parlament ausschließen, und er verweigerte Mazzini sogar noch nach den Siegen von 1860 die Rückkehr aus dem Exil. Seine Hauptfehler jedoch waren die Verlogenheit und Skrupellosigkeit, die er bei seinen parlamentarischen Manövern und politischen Richtungswechseln an den Tag legte. D’Azeglio, dem man in dieser Hinsicht nichts nachsagen konnte, meinte, das Volk habe nach langer Bekanntschaft mit Cavours Charakter gelernt, dass man diesem kein Wort glauben durfte.
In Turin sieht man viele bombastische Denkmäler für Könige, Generäle und Politiker des Piemont. Eines der hässlichsten ist die riesige, fast schon lächerliche Statue Cavours auf der Piazza Carlo Emanuele, wo die französischen Revolutionäre seinerzeit die Guillotine aufgestellt hatten. Bekannt als »der Briefbeschwerer«, verrät sie nichts vom Charakter der
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