Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
einander ergänzt.
So halfen die Klugheit Cavours und Vittorio Emanueles ebenso wie Mazzinis Beharrlichkeit und Garibaldis Wagemut … Was wäre aus Italien ohne diese vier Männer geworden, jeder handelnd in seinem Bereich, wenn nur einer gefehlt hätte?. *180
Um diese Botschaft dem öffentlichen Bewusstsein einzupflanzen, stellten italienische Regierungen in Würdigung der vier Heroen Denkmäler auf und benannten Straßen nach ihnen. In fast jeder italienischen Stadt stehen Statuen von Garibaldi und Vittorio Emanuele. In fast jeder Kleinstadt folgt der Besucher einer Via Cavour zu einer Piazza Garibaldi und gelangt über eine Via Mazzini und einen Corso Vittorio Emanuele auf eine Piazza dell’Unità, einen Platz der Einheit. Der glücklose Mazzini ist gewöhnlich der Letzte in der Reihe, eine Frage der Rangordnung. In Turin hat man seine Statue in eine Seitenstraße verbannt, in Lucca trägt ein Parkhaus seinen Namen, und in Genua, seiner Heimatstadt, gedenkt man seiner mit einer Galleria, eleganten Arkaden mit Designerboutiquen – ein besonders unfreundliches Gedenken an diesen mittellosen, stets schwarz gekleideten Asketen, der sich als einzige Extravaganz billige Schweizer Zigarren leistete.
Neben den berühmten Vier ehrt Italien noch weitere »Titanen« (wie sie genannt wurden). Denkmäler und Straßen erinnern auch an Manin, Ricasoli, D’Azeglio und Crispi, der allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg einige seiner Straßennamen einbüßte, als man den Verdacht schöpfte, er sei ein Vorläufer Mussolinis gewesen. Patrioten der Romantik hatten sich schwer getan, nach dem Mittelalter noch Helden zu entdecken. Deshalb verherrlichten sie mit Begeisterung zeitgenössische Titanen und gedachten – wie der DichterGiosuè Carducci 1886 – »jener Tage der Sonne, der Freiheit und des Ruhms von 1860«, jener erhabenen »Epoche unendlicher Größe«. Vor seinem Tod 1876 ermahnte der Patriot Luigi Settembrini die Italiener zu hören, »was die Nachwelt über uns sagen wird. Sie wird sagen, dass dies eine Generation der Giganten war, weil sie eine Aufgabe bewältigte, die für viele Generationen und viele Jahrhunderte zuvor unerfüllbar gewesen war.« *181 Settembrini hielt sich nicht mit der Frage auf, ob italienische Giganten, wie die meisten anderen, nicht eher der Welt der Mythen und Legenden entstammen.
DER KLÜGSTE STAATSMANN
Ein kulinarischer Rundgang durch Turin mit Camillo Cavour wäre ein lehrreiches und unterhaltsames Erlebnis gewesen. Vom Palazzo seiner Familie aus dem 18. Jahrhundert in der heutigen Via Cavour aus hätte er den Besucher vielleicht zu Al Bicerin geführt, einem kleinen Café nahe der Barockkirche Santuario della Consolata, das heute noch seine berühmte Kreation aus Kaffee, heißer Schokolade und Sahne im Glas serviert. Von dort wären wir vielleicht zu Del Cambio geschlendert, seinem Lieblingsrestaurant unweit des Parlaments, um schließlich im Café Fiorio zu landen, das den Whist-Club beherbergte. Der Club zog später an die Piazza San Carlo um, ins Haus seiner Lieblingskonditorei, der Confetteria Stratta. Die Versuchung ist groß, in einer mit Konditoreien und Eiscafés so reich gesegneten Stadt über die Stränge zu schlagen, doch man täte gut daran, im Restaurant auf den bollito misto zu verzichten, den piemontesischen Eintopf aus Wurzelgemüse und gekochtem Fleisch, darunter häufig auch Esel.
Es wäre sicher unterhaltsam gewesen, an einem Cafétisch zu sitzen und diesem lebhaften Begleiter zu lauschen, einer rundlichen Erscheinung mit blauen Augen, Brille und einem dünnen Bärtchen unterm Kinn. Er war klug und witzig, leutselig und charmant und großzügig gegenüber den Bauern auf seinem Landgut. Aber er konnte auch zynisch und zänkisch sein, und gegenüber Freunden und Kollegen zeigte er sich nicht selten schroff. In Angriffslaune zählte er ihnen zuerst ihre Fehler auf, die er erkannt zu haben glaubte, und sagte ihnen dann ins Gesicht, sie seien »nutzlos und unbedeutend«. Er konnte sich in seine Wut so hineinsteigern, dass er schrie und mit der Faust auf den Tisch schlug, als habe er den Verstand verloren. Bei einem Mittagessen mit D’Azeglio und anderen Kollegen in den frühen 1850er Jahren geriet er plötzlich dermaßen außer sich, dass er seinen Tellermit dem Omelett auf den Boden schleuderte und das Weite suchte.
Auch Vittorio Emanuele wurde ein Opfer von Cavours Wut und Spott. Gegenüber dem König war der Ministerpräsident oft unhöflich und herablassend,
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