Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Landes, den seine Nachfolger, weniger erfolgreich, beinahe ein Jahrhundert lang beibehielten. Durch ihn und sein Beispiel erlangte Italien den Ruf, ein unzuverlässiger, zuweilen fataler Bündnispartner zu sein.
DER EDELSTE RÖMER
Man nehme einen Michelin-Reiseführer Italiens und schlage die Stadtpläne auf. Man beginne mit A (Alassio, Alessandria, Ancona, Aosta), gehe dann zu B (Bari, Barletta, Belluno, Bergamo) und fahre so fort bis V, dem letzten Buchstaben mit echt italienischen Städtenamen (Venedig, Vercelli, Verona, Viterbo). Alle diese Städte haben eines gemeinsam: einen öffentlichen Raum – sei es eine Straße, eine Brücke, eine Hauptstraße oder ein Platz –, der zu Ehren Giuseppe Garibaldis benannt ist. Viele haben auch Statuen des großen Mannes aufgestellt, oft zu Pferd als gelassener Anführer seiner Freiwilligen oder mit einem Löwen neben sich, für den Fall, dass die Betrachter der Erinnerung an Garibaldis löwenhaften Mut bedürfen.
In Genua ist Garibaldi nicht nur mit einer mächtigen Reiterstatue in Bronze auf dem Opernplatz vertreten, sondern auch an verschiedenen anderen unpassenden Orten, etwa einer Via Garibaldi (einer Straße mit Renaissancepalästen), einer Piazza Garibaldi (einem Hof mit einem Motorradgeschäft), einem Vico Garibaldi (einer düsteren Sackgasse) und einer Galleria Garibaldi, die weder Kunstgalerie noch Einkaufsmeile ist wie die Galleria Mazzini, sondern ein Autotunnel – nützlich in einer Stadt, die ihre Verkehrsprobleme mit dem Bau einer Stelzenautobahn zu lösen versucht, die die Altstadt vom Hafen trennt. Der nächste Tunnel ist übrigens nach Nino Bixio benannt, dem ungestümen Kampfgefährten Garibaldis von 1860.
Garibaldi war ein echter Held, ein Idealist und Visionär, zugleich aber auch ein Erfolgsmensch, ein kühner Soldat und ein unbestechlicher Mensch. Die hohe Stirn, die edlen Gesichtszüge und der melodische, nuancenreiche Klang seiner Stimme passten perfekt für die Rolle, die er zu spielen hatte. Nach Giuseppe Guerzoni, seinem Freund und Biographen, ließ sein »herrliches Haupt« ihn wechselweise wie Jesus, wie ein Löwe oder wie der olympische Zeus erscheinen. *185 Andere waren verblüfft über seine Ähnlichkeit mit Christusdarstellungen, und viele titulierten ihn mit religiösen Begriffen wie »Retter« und »Erlöser«.
Neben Gandhi ist Garibaldi vielleicht die am meisten gefeierte weltliche Gestalt der Geschichte. Bejubelt wegen seiner Großtaten in Südamerika und Europa, war er zu Lebzeiten der wohl berühmteste Mensch auf Erden. In England, das er 1854 und 1864 besuchte, wurde ihm die Bewunderung riesiger Menschenmengen und die Liebe einiger Frauen zuteil. Er beflügelte den Geschäftssinn der Hersteller von »Garibaldi-Keksen« ebenso wie den Fußballklub Nottingham Forest, der ihm zu Ehren das rote Hemd übernahm. Die Engländer jener Zeit, die eine humanistische Bildung genossen hatten, sahen in ihm einen klassischen Helden. Die Zeitschrift Punch fand für ihn die Worte passend, die Shakespeare dem Mark Anton in den Mund legte: Brutus sei »der ehrenwerteste Römer von allen« – obwohl man bezweifeln darf, ob Garibaldi den Vergleich mit Caesars Mörder geschätzt hätte. Er war zwar ein Revolutionär, missbilligte aber den Mord als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Ein Bürgermeister von London nannte ihn eine zeitgemäße Verkörperung des Spartaners Leonidas und des Römers Cincinnatus, der der Legende nach Rom in einer Zeit der Bedrohung rettete, um alsdann auf sein Landgut zurückzukehren. Ein solcher klassischer Vergleich war angemessen: Wie Leonidas kämpfte auch Garibaldi gegen übermächtige Kräfte, und wie Cincinnatus kehrte er danach immer wieder auf sein Gut auf der Insel Caprera vor Sardinien zurück. Sogar mit den mittelalterlichen Helden Wilhelm Tell, William Wallace, Jeanne d’Arc und Robin Hood wurde er verglichen. Amerikaner sehen in ihm gern Italiens George Washington, einen zweiten von der seltenen Sorte Cincinnatus. Leider hatte er eine schauderhafte Wirkung auf Dichter. Nachdem Alfred Lord Tennyson in seinem Garten auf der Isle of Wight einen Baum gepflanzt hatte, schrieb er die Verse:
Und sieh diesich wiegende Pinie, die hier
der Krieger von Caprera gesetzt.
Ein Name, den die Welt nicht vergessen wird,
bis endlich naht ihr letztes Jahr.
Dieses Gedicht »Für Odysseus« ist keineswegs das schwächste, das je ein englischer Dichter Garibaldi widmete. Swinburne, Meredith und Elizabeth Barrett
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