Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Rückgrat, das die Halbinsel über eine Gesamtlänge von 1500 Kilometern in einem großen Bogen durchzieht und sich bis nach Sizilien und zu den Ägadischen Inseln fortsetzt. Die Alpen bieten Schafen und Rindern üppige Sommerweiden oberhalb der Baumgrenze; auch in noch sehr viel größerer Höhe gibt es Vegetation. Flüsse und Seen erleichtern den Waren- und Personenverkehr, und über die Pässe gelangten im Mittelalter das Bankwesen und der Kapitalismus aus Italien nach Nordeuropa. Zahlreiche Dörfer versorgten den Handel das ganze Jahr hindurch mit Geleit und Fuhrwerken, und selbst im Winter überwanden Menschen und Waren die Pässe mit Schlitten. Während Mailänder Kaufleute im 13. Jahrhundert über den Sankt-Gotthard-Pass eine befahrbare Straße bauten, die sie nach Deutschland und den Rhein entlang bis in die heutigen Niederlande führte, reisten die Venezianer über den Brenner, den niedrigsten Pass, nach Innsbruck und weiter nach Nürnberg und Frankfurt. Den Umfang des Handels über die Alpen – hauptsächlich mit Stoffen, Wein und Gewürzen – kann man anhand des Fondaco dei Tedeschi ermessen. Diese Handelsniederlassung direkt an der Rialtobrücke am Canal Grande, wo bis vor Kurzem das Hauptpostamt untergebracht war, diente den deutschen Kaufleuten während ihres Aufenthalts in Venedig als Herberge und Handelskontor.
Der Apennin dagegen bildet eine vielgliedrige Schranke aus Bergen, Sturzbächen und Schluchten, die schwer zu überwinden sind. Durch tiefe Schluchten getrennt, wussten die Dörfer im kalabrischen Sila-Gebirge wenig voneinander. Im Mittelalter gab es zahllose Saumpfade über den nördlichen Apennin, aber diese eigneten sich vor allem für Maultiere, mit denen man jedoch keine Wagenladungen Wein transportieren konnte wie über die Brennerrouten. Noch im Jahr 1750 waren auf dem gesamten Gebirgszug der Toskana und der Emilia Romagna nur zwei Teilstrecken für Karren passierbar. Der Apennin bildet somit eine Schranke zwischen dem Westen und dem Osten Italiens, die historisch gesehen fast genauso bedeutsam war wie die Trennung zwischen dem Norden und dem Süden. Bevor man Eisenbahnen und Tunnels baute, waren die Verkehrsverbindungen so schlecht, dass Reisende die Strecke zwischen Rom und Ancona einfacher und billigerper Schiff zurücklegten – über das Tyrrhenische, Ionische und Adriatische Meer –, statt auf dem kürzesten Weg durch das Landesinnere zu reisen.
Die Berge bieten den Bewohnern durchaus auch ein paar Vorteile. Da sie sehr hoch sind – der Gran Sasso in den Abruzzen ist 2912 Meter hoch – bleiben sie auch im Sommer mit Eis und Schnee bedeckt, eine Voraussetzung für die Herstellung lokaler Spezialitäten wie Speiseeis und Sorbet. Mitten im August des Jahres 1860, nach der Eroberung Siziliens, kletterten Garibaldis Soldaten auf den Aspromonte an der kalabrischen Stiefelspitze, um Schnee für die Kühlung von Speisen zu holen.
Das gebirgige Landesinnere bedeutete für den Vormarsch erobernder Armeen zudem ein so großes Hindernis, dass sogar noch die britischen und amerikanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg trotz ihrer Luftüberlegenheit über die Deutschen 21 Monate brauchten, um sich von der einen Seite Italiens zur anderen vorzukämpfen. Die Berge halfen den Menschen, ihre Autonomie zu wahren, was jeder, der versuchte, das zerklüftete Landesinnere unter seine Kontrolle zu bringen, schnell erfahren musste. Damit förderten sie auch die Bewahrung – und sogar die Schaffung – kultureller Identität und sozialer Vielfalt innerhalb eines recht begrenzten Raums. Auch das kann man durchaus als Glücksfall bezeichnen. Der großartigen romanischen Kirchenarchitektur von Pisa und Lucca mit ihren düsteren Innenräumen stehen die lichtdurchfluteten romanischen Dome von Bari und Trani gegenüber. Doch eine Landschaft, die kulturelle Vielfalt begünstigt, fördert fast zwangsläufig auch die politische Zerrissenheit. Im Fall Italiens zeigte sich dies schon vor der Gründung Roms durch Romulus.
Wenig Segensreiches in kultureller und anderer Hinsicht brachten die beiden großen Vulkane des Landes, der Ätna in Sizilien, der größte aktive Vulkan Europas, und der Vesuv bei Neapel. So verheerend Vulkanausbrüche in der Vergangenheit oft waren, Erdbeben gibt es in Italien sehr viel häufiger, und sie sind sehr viel gefährlicher. Kaum eine Stadt im östlichen Sizilien oder im Südwesten des italienischen Stiefels wurde im Laufe ihrer Geschichte nicht mindestens einmal durch ein
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