Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
Vom Netzwerk:
Sizilianer oder Ligurer zum Militärdienst eingezogen und verließen die Armee als Italiener. Zur Förderung der nationalen Verständigung brachte man Männer aus unterschiedlichen Regionen in einem Regiment zusammen, eine theoretisch überzeugende Idee. In der Praxis jedoch bildeten sich innerhalb der Einheiten regionale »Banden«, deren Mitglieder sich in ihrem lokalen, für Außenstehende fremdartigen Dialekt verständigten.
    Die Italiener hatten keine Feinde bis auf jene, die sie sich am Roten Meer selbst schufen. Dennoch hörten sie nicht auf, von einem strahlenden militärischen Triumph zu träumen. Sie hatten die Niederlagen von Custoza und Lissa noch nicht verwunden, und nach verbreiteter Ansicht bedurfte es einer »Feuertaufe«, um diese Schmach zu tilgen. Das Gefühl der Demütigung verstärkte sich auf dem Berliner Kongress von 1878, wo nach dem Russisch-Türkischen Krieg die Grenzen neu gezogen werden sollten. Am Ende erhielten die Briten Zypern, und den Franzosen wurde das Recht zugesprochen, in Tunesien (gerade dorthin waren in den Jahren zuvor zahllose Italiener ausgewandert, und Italien betrachtete es als seine ureigene Interessensphäre) ein Protektorat zu errichten. Das Habsburgerreich nahm Bosnien und die Herzegowina in Besitz, aber Italien ging leer aus. Als der italienische Außenminister vorschlug, Österreich solle seinem Land das Trentino abtreten, wo die Bevölkerungsmehrheit italienisch sprach, traf der russische Delegierte einen empfindlichen Nerv, als er scherzte, Italien müsse erst noch eine Schlacht verlieren, bevor es weitere Territorien aus dem Besitz Österreichs erhalten könne.
    Über die Ergebnisse des Berliner Kongresses und die französische Invasion in Tunesien drei Jahre später waren viele Italiener empört; sie forderten die Besetzung Albaniens und den Aufbau einer noch größeren Armee. Die Regierung entwickelte daraufhin Pläne, Ostafrika zu kolonialisieren und einen Dreibund zusammen mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn zu schließen – ein bizarrer diplomatischer Schachzug, der Italien nichts einbrachte außer dem fragwürdigen Prestige, rein formell mit den anderen beiden Mächten gleichgezogen zu haben. Der Dreibund zwang die Italiener, ihre territorialen Ambitionen in Triest und im Trentino aufzugeben, er verprellte England und Frankreich, die sich als Freunde Italiens sahen, und ermutigte die Nationalisten, ihre Enttäuschung über Europa an der Bevölkerung Eritreas abzureagieren.
    Der italienischen Außenpolitik am Ende des 19. Jahrhunderts drückte Francesco Crispi (1887 – 1891 und 1893 – 1896 Ministerpräsident) seinen Stempel auf. Der einstige Garibaldiner verband Tatkraft und Tüchtigkeit mit extremer Selbstgefälligkeit. In der Abgeordnetenkammer verglich er sich einmal mit dem Ätna: Der schneebedeckte Gipfel seines eisernen Willens beherrsche die Glut seines Geistes und die Leidenschaft seines Temperaments. Die Innenpolitik seiner Regierung belegt, dass er den Idealen seiner revolutionären Jugend nicht ganz abgeschworen hatte. Er schaffte die Todesstrafe ab und setzte wichtige Reformen im öffentlichen Gesundheitswesen, in der Lokalverwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch. Aber außenpolitisch hatte er sein rotes Hemd und den Gestus des Freiheitskämpfers abgelegt und sich zum Militaristen, zum Expansionisten und Imperialisten gewandelt. Einst hatte er den Traum, die Italiener könnten die »Angelsachsen derlateinischen Rasse« werden und parlamentarische Institutionen wie in England aufbauen. Mittlerweile hatte er diese Vision aufgegeben und war der Ansicht, seine Landsleute seien ungeeignet für die repräsentative Regierungsform. Die heutigen Italiener, so glaubte er, bräuchten Disziplin dringender als Demokratie. Sie sollten Verweichlichung und Dekadenz ablegen, Soldaten werden und ein Imperium aufbauen. Laut Crispi waren die Italiener mit dem »Morphium der Feigheit« infiziert, und er befürchtete, die Nation werde mangels Patriotismus auseinanderbrechen. In anderen Ländern, sagte er, hörten die Leute auf zu reden und senkten den Kopf, wenn ihre Nationalflagge gehisst wurde. In Italien sei es das Signal zum Quasseln. *228
    Nach seiner Überzeugung war eine aggressive Außenpolitik der beste Weg, um den Patriotismus anzufachen. Crispi legte sich mit fast jedem Land an, insbesondere mit Frankreich, nicht jedoch mit Großbritannien und Deutschland. Aber auch sie waren keine großen Bewunderer Crispis und seiner Pläne. Der

Weitere Kostenlose Bücher