Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
Dante nach einem Dichter, der die Stadt nie besucht hatte. Ein weiteres Beispiel ist die Piazza dei Martiri mit dem Denkmal für die »ruhmreichen Gefallenen« von 1799, die von den norditalienischen Patrioten als Märtyrer gefeiert wurden, für die meisten Neapolitaner dagegen Rebellen oder sogar Verräter waren, die sich gegen ihren rechtmäßigen König erhoben hatten.
Ein Besucher italienischer Städte, der alle diese Statuen sieht und durch all diese Straßen promeniert, mag sich fragen, was für eine Wirkung diese Namen auf die Menschen der damaligen Zeit hatten. Crispi betrachtete es als die Pflicht von Regierungen und staatlichen Institutionen, sich in Monumenten zu verewigen, aber warum sie das unbedingt tun sollten, erklärte er nicht. Die meisten Bürger des neuen Staates waren zweifellos weniger zynisch als der Schriftsteller Pasquale Turiello, der überlegte, warum Italien so vieler »Helden« in Marmor gedenke, wo die Italiener doch seit Legnano 700 Jahre zuvor keine einzige Schlacht aus eigener Kraft gewonnen hatten. *226 Doch viele waren bestürzt über den Aufwand, den man dafür betrieb. Ende des 19. Jahrhunderts galt ihre Loyalität eher dem neuen Sozialismus oder der alten Kirche als dem liberalen Staat, der auf so wackeligen Beinen stand und so viele enttäuscht hatte. Für Menschen, die kein Wahlrecht hatten, die sich mit dem Gedanken an Auswanderung trugen und oft weniger zu essen hatten als ihre mittelalterlichen Ahnen, war das endlose Recycling »schöner Legenden« ebenso ärgerlich wie bedeutungslos.
DAS STREBEN NACH RUHM
Die italienische Halbinsel hat im Verlauf ihrer Geschichte viele Kriege erlebt, doch ihre Bevölkerung hatte, mit Ausnahme von Piemont und bis zu einem gewissen Grad Neapel, kaum kriegerische Traditionen entwickelt. Venedig und Genua – ebenso wie Pisa und Amalfi, wenn auch über kürzere Zeiträume – hatten natürlich ihre Marine. Das ganze Mittelalter hindurch bekämpften die Stadtstaaten einander und gewannen entweder neue Gebiete hinzu oder gingen unter. Doch diese Konflikte waren etwas ganz anderes als die Kriege gegen fremde Mächte wie Frankreich oder Deutschland, und die reicheren Städte setzten oft Söldner ein. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Armeen der meisten italienischen Staaten in einem kläglichen Zustand. Die Toskana, Modena und der Kirchenstaat, sie alle waren nicht einmal für einen kurzen Krieg ausreichend gerüstet.
Aber eine Maxime des geeinten Italien lautete, der Staat müsse kriegerisch sein. Das Ethos Piemonts und die Ambitionen seiner Könige verbanden sich von Anfang an zu einer Kriegskultur. Vittorio Emanuele und sein Sohn Umberto, der 1878 König wurde, forderten eine große Armee und kämpften erbittert gegen Regierungen, die die Militärausgaben kürzen wollten. Umberto erklärte immer wieder, er wolle lieber abdanken, als eine Verkleinerung der Streitkräfte hinzunehmen. Er bekam seinen Willen, wie zuvor sein Vater. Anfang der 1890er Jahre besaß Italien eine riesige Kriegsflotte, obwohl es jetzt, als Verbündeter Österreichs, keine Feinde hatte. Überdies gab es eine Menge Admiräle, einen für jedes Schiff: wichtig aussehende Männer, behängt mit Orden, die sie aus kaum nachvollziehbaren Gründen erhalten hatten, denn nach Lissa hatte Italien in keiner einzigen Seeschlacht mehr gekämpft. Unter König Umberto verdoppelten sich die Militärausgaben und lagen höher als die Ausgaben des Erziehungsministeriums und des Ministeriums für öffentliche Arbeiten, ja sie überflügelten den Haushalt aller übrigen Ministerien zusammengenommen.
Andere europäische Länder gaben zwar mehr Geld für ihre Streitkräfte aus, aber sie waren reicher, und einige hatten Kolonialreiche zu verteidigen und zu vergrößern. Italiens Streitkräfte waren überdimensioniert für ein so armes und nicht bedrohtes Land ohne Kolonien, bis es Ende des 19. Jahrhunderts ein paar Vorposten am Roten Meer erwarb. Mitte der 1860er Jahre hatte Italien fast 400 000 Soldaten auf seiner Halbinsel, mehr als Großbritannien in einem Imperium, das über den gesamten Erdball verteilt war. *227
Der italienische Staat brauchte die Armee nicht zu seiner Verteidigung, sondern um Prestige zu gewinnen, Aufstände niederzuschlagen und gegen »Briganten« vorzugehen. Die Regierung betrachtete sie zu Recht als Stütze für das nationale Projekt, als ein Instrument, um das Volk zu einer Nation zusammenzuschweißen. Und sie war ein Schmelztiegel: Junge Männer wurden als
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