Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
britische Premier- und Außenminister Lord Salisbury empfand ihn als einen »embarrassing ally«, einen blamablen Verbündeten, und äußerte gegenüber Königin Victoria, er sei der »Randolph Churchill Italiens«, verglich ihn also mit einem ungeliebten Rivalen. Bismarck erhielt von Crispi alljährlich ein Präsent mit sizilianischem Wein, aber er zeigte ebenfalls wenig Verständnis für die italienischen Ambitionen. Er tat Italien in internationalen Angelegenheiten als »unerheblich« und als »fünftes Rad am Wagen« der europäischen Mächte ab. Italiens Versagen als Kolonialmacht in den 1880er Jahren zeige, dass das Land zwar einen großen Appetit, aber miserable Zähne habe. 25 Jahre vor 1914 befürwortete Crispi einen Krieg des Dreibunds gegen Russland und Frankreich. Dieses Ziel verfolgte auch das Militär des deutschen Kaiserreichs und der spätere – letzte – Kaiser Wilhelm II., aber Bismarck gelang es im letzten Jahr seiner Kanzlerschaft, den Plan abzuwehren. Was habe Deutschland in einem Krieg zu gewinnen?, fragte er. Schon jetzt habe es mehr Polen, als gut sei, und mehr Franzosen, als es jemals verdauen könne. *229
Natürlich konnte Italien selbstständig in Europa keinen Krieg beginnen, aber für Kolonialkriege in Afrika brauchte es weder Verbündete noch eine Erlaubnis. Auch andere Staaten beteiligten sich am »Wettlauf« um Afrika. Großbritannien, Frankreich und Portugal hatten dort schon riesige Kolonien gegründet, und im Kongo war der belgische König im Begriff, die größte Kolonie des afrikanischen Kontinents zu schaffen. Vittorio Emanuele hatte ein begehrliches Auge auf Sumatra und Neuguinea geworfen, während sein nicht weniger kriegsbegeisterter Sohn den Türken Rhodos wegnehmen und einen Marinestützpunkt in China errichten wollte.
Die Expansion in denBalkan war ein weiteres Ziel, auch wenn Afrika bis zum Ersten Weltkrieg im Brennpunkt der italienischen Großmachtbestrebungen stand.
Die Franzosen waren bereit, den Anspruch Italiens auf Libyen anzuerkennen, das damals zum Osmanischen Reich gehörte, aber die Italiener waren wegen des französischen Protektorats über Tunesien immer noch so verärgert, dass sie sich lieber erst einmal dem Roten Meer zuwandten. Kolonien versprachen Reichtum und Ansehen, aber kein Gebiet, auf das Italien ein Auge warf, war in dieser Hinsicht vielversprechend. Assab, die erste italienische Kolonie am Roten Meer, hatte besonders wenig zu bieten. Hier endeten die Karawanenwege durch die Wüste Danakil, und die Italiener wussten über diese Gegend herzlich wenig. Der Oberst, der die Besatzungstruppen beim Einmarsch befehligte, gab sogar zu, nie eine Landkarte der Region gesehen zu haben. Drei Jahre später gründete Italien in Massaua an der Küste Eritreas eine weitere Kolonie. Nach der Landung der italienischen Truppen forderte Crispi (damals nicht an der Regierung), das Unternehmen könne nur ein Ziel haben: Italien in Afrika fest zu verankern, um »den Barbaren« zu zeigen, dass die Italiener stark und mächtig seien. In einer Sprache, wie piemontesische Offiziere sie in Süditalien gebraucht hatten, fügte er hinzu, da die Barbaren nur die Sprache der Waffen verstünden, werde die Artillerie bald »losdonnern«. *230 Wie sich herausstellte, ließen sich die Stammesangehörigen von solcher Gewalt nicht übermäßig beeindrucken. 1887 rückte eine italienische Streitmacht mit 500 Soldaten ins Landesinnere Äthiopiens vor und wurde in Dogali von äthiopischen Truppen vernichtet – eine schmachvolle Niederlage, die nationalistische Maler zu einem heroischen Opfer umdeuteten: ein mutiger Trupp, der von afrikanischen Horden überrannt wurde. Eine Gedenktafel in der apulischen Stadt Locorotondo erinnert bis heute an die »Helden«, die »wie die Römer für die Ehre des Vaterlandes« ihr Leben opferten.
Crispi schickte nach seiner Amtsübernahme als Ministerpräsident kurz nach der Niederlage von Dogali ein Expeditionskorps ans Rote Meer, um »den Barbaren« für ihre »unrechtmäßigen Überfälle« eine Lektion zu erteilen. Das Unternehmen stärkte den Kampfgeist der Soldaten und führte zur Besetzung Asmaras. Daraufhin wurden Eritrea und Somaliland zu italienischen Kolonien erklärt. Nach Crispis Rücktritt 1891 kamen die kolonialen Aktivitäten zum Stillstand, doch als er Ende 1893 erneut die Regierung übernahm, war er kämpferischer als je zuvor. Sogar König Umberto, der gleichfalls nicht zimperlich war, wenn es galt, Krieg zu führen, erschrak.
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