Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
wuchtiges Reiterstandbild Vittorio Emanueles aus Bronze an der Riva degli Schiavoni und Statuen der venezianischen Risorgimento-Helden Daniele Manin und Niccolò Tommaseo auf Plätzen unweit von San Marco. Lucca, traditionell gleichfalls den Statuen auf öffentlichen Plätzen abgeneigt, hatte weniger Glück. Nur die Madonna dello Stellario, eine großartige Maria im Sternenkranz, datiert aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert. Die Restaurationsära bescherte der Stadt eine hässliche Skulptur der Maria Luisa von Bourbon-Parma auf der Piazza Napoleone, aber die Herzogin hatte für ihre Untertanen wenigstens eine Wasserleitung bauen lassen. Die »Giganten« taten nichts für Lucca, dennoch sind sie auch hier allgegenwärtig: Garibaldi in Marmor, typischerweise vor dem Theater, Vittorio Emanuele in Bronze, monumental am Haupttor der Stadt, Mazzini in Stein, hager und verloren auf einem melancholischen kleinen Platz an der Stadtmauer unter Ilexbäumen. Dann die Hauptverkehrsstraßen: Viale Cavour, Corso Garibaldi, Via Vittorio Emanuele und Piazzetta del Risorgimento.
Eine kostengünstigere und noch beliebtere Möglichkeit, den nationalen Kult zu befördern, waren Gedenktafeln in den Innenstädten ganz Italiens. Sie enthalten oft eine historische und politische Botschaft, zum Beispiel in Cremona für einen Soldaten, der bei der Einnahme Roms gefallen ist, in der »letzten Schlacht zur Beendigung einer Priesterherrschaft, die von Christus nichtgewollt war und von der Vernunft und der Geschichte verurteilt wurde«. Allgegenwärtig sind Gedenktafeln an all den Orten, wo Garibaldi eine Rede hielt und forderte, Rom zu erobern oder zu sterben und damit das erhabenste Opfer zur Rettung Italiens zu bringen. Manchmal adelte schon ein kurzer Aufenthalt Garibaldis ein Haus für alle Ewigkeit. Eine große Marmortafel auf der Piazza Bologna in Palermo verkündet, dass »in diesem illustren Haus« Giuseppe Garibaldi am 27. Mai 1860 »für nur zwei Stunden die müden Glieder bettete«. Wohl aus dem Gefühl heraus, dass dies für eine Inschrift zu wenig sei, fügte man den Satz hinzu, dass »der geniale Zerstörer aller Tyrannenherrschaft in außerordentlicher Heldenhaftigkeit« inmitten des Lärms tödlicher Kriegswaffen hier »friedlich schlummerte«.
Man benannte Schiffe nach den Heroen des Risorgimento und beging feierliche Jahrestage, die allerdings manchmal auch an die Geschichte vor dem Risorgimento erinnerten. Nicht nur Savoia und Italia , sondern auch Lepanto und Dandolo hießen solche Schiffe. Der 600. Jahrestag der Sizilianischen Vesper konnte praktischerweise gleichzeitig als der 25. Jahrestag der Einnahme Roms und der Eroberung Palermos gefeiert werden. Die gängigste und einfallsloseste Propagandamaßnahme zugunsten des Risorgimento war, wie gesagt, die Umbenennung von Straßen. Die Städte folgten in der Regel lokalen Traditionen, wenn sie, wie Pistoia, den wohlklingenden Namen Via del Vento (Straße des Windes) änderten, um an eine längst verstorbene und vergessene lokale Größe zu erinnern, in diesem Fall einen Schüler des berühmten Architekten Bramante. Nach 1861 wurden solche Gepflogenheiten zugunsten einer uniformen Strategie der Verbeugung vor den Giganten aufgegeben. Die Epidemie der Umbenennung von Straßen suchte ganz Italien heim, nur Venedig blieb verschont. Immunisierend wirkte dabei nicht zuletzt sein ausgeprägter Dialekt, auch wenn selbst hier die Straße entlang der Giardini pubblici, die den passenden Namen Strada dei Giardini trug, zur Strada (heute Via) Garibaldi wurde. Andernorts hatte man vor allem Straßen im Visier, die nach katholischen Heiligen benannt waren. Ein typisches Beispiel ist Arezzo, wo der heilige Augustinus durch Garibaldi und die Muttergottes von Loreto durch Mazzini verdrängt wurde. In Padua wurden drei Hauptplätze zu Ehren Cavours, Vittorio Emanueles und der Unità d’Italia umbenannt.
Patriotische Bewohner piemontesischer und anderer norditalienischer Städte hatten womöglich nichts gegen diese Umbenennungen einzuwenden, aber Süditaliener nahmen Anstoß daran, auch wenn die neuen Namen von ihrer eigenen Kommunalverwaltung genehmigt wurden. Jahrhundertelang hieß die beliebteste Einkaufsstraße Neapels Via Toledo. Deren Umbenennung in Via Roma1870 führte den Neapolitanern lediglich vor Augen, welchen neuen Herren sie nun unterworfen waren. Ähnlich unsensibel war die Umbenennung des Foro Carlino (nach Karl VII., einem der besten Herrscher, die Neapel je hatte) in Piazza
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