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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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Wagende zu wagen« (osare l’inosabile) . Das Mittelmeer müsse »mare nostrum« werden, ein Schlagwort, das in den faschistischen Köpfen ebenso einen Nachhall fand wie der Schlachtruf vom »verstümmelten Sieg«, der viele bewog, sich seiner Ansicht von der Ungerechtigkeit der Friedensverhandlungen und der Perfidie von Verbündeten anzuschließen, die Italien klein machen wollten. Nach dem Krieg vertrat er dieselben Ziele wie die Regierung – die Erfüllung des 1915 geschlossenen Londoner Vertrags zuzüglich Fiume –, doch am Ende akzeptierten die Politiker widerstrebend die Regelungen der Friedenskonferenz. D’Annunzio nicht. Im September 1919 beschloss er, das nicht zu Wagende zu wagen und Fiume für Italien zu erobern.
    Vor dem Krieg hatte Fiume für die östlichen Teile der Habsburgermonarchie dieselbe Funktion wie Triest für die nördlichen. Wie Triest war es eine wichtige Stadt für die dort ansässigen italienischen Kaufleute gewesen, aber für Italien spielte es wirtschaftlich keine Rolle. Die Handelswege der Stadt führten auf den Balkan. In stärkerem Maße als in Triest waren die Grenzen zwischen den sozialen Schichten ethnisch geprägt: Das italienische Bürgertum beherrschte die kroatische Arbeiterschaft in einem solchen Maß, dass Kroatischin keiner einzigen Schule der Stadt die Unterrichtssprache war. Nach dem Krieg und dem Ende der Habsburgermonarchie schickte sich die kroatische Bevölkerungsmehrheit gemäß Wilsons Vierzehn Punkten und dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker an, die Verwaltung der Stadt zu übernehmen. Alarmiert von dieser Entwicklung, forderten die Italiener in Fiume den Anschluss ans »Vaterland«, was die Regierung in Rom in Verlegenheit brachte. Die Weltöffentlichkeit war gegen eine Annexion, und Frankreich positionierte sich bereits als Schutzmacht des entstehenden Jugoslawien.
    In Italien wurde die Forderung nach einer Annexion Fiumes zum Schlachtruf von Nationalisten und Abenteurern, die sich mit ehemaligen Frontkämpfern des Ersten Weltkriegs, den arditi (»Waghalsigen«), zum Kampf für die »Befreiung« zusammentaten. Es war ein klassischer Fall der Geschichte, die sich als Farce wiederholt, als die Freiwilligen »Fiume oder Tod!« skandierten und die Bewohner der Stadt mit »Italien oder Tod!« antworteten. Im entscheidenden Augenblick betrat D’Annunzio die Szene, führte die Freiwilligen in die Stadt und verkündete vom Balkon eines Hauses den Anschluss Fiumes an Italien. Die Soldaten der italienischen Armee, die im Umkreis der Stadt stationiert waren, hatten den Befehl, D’Annunzios Einzug in die Stadt zu verhindern, aber sie verhielten sich wie Marschall Ney im März 1815. Der Poseur D’Annunzio gefiel sich in der Rolle Napoleons, entblößte seine Brust und forderte die Soldaten auf, ihn zu erschießen. Er wurde zum Kommandanten eines abgeschmackten hedonistischen Ruritanien, der »Regentschaft am Quarnero« (Reggenza del Carnaro).
    Die italienische Regierung unter Francesco Nitti wusste nicht, wie sie mit D’Annunzios operettenhafter Diktatur umgehen sollte, die sich über ein Jahr hielt und erst mit Giolittis Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten endete. Nitti schickte Ende 1920 Truppen nach Fiume. D’Annunzio kapitulierte sofort und konnte dennoch einen Sieg für sich verbuchen: Fiume wurde zum Freihafen erklärt und vier Jahre später von Mussolini annektiert. Wie Triest verlor auch Fiume mit der Angliederung an Italien sein Hinterland und wurde wirtschaftlich ruiniert. Die Nationalisten verklärten zwar die Besetzung Fiumes zum Triumph, aber Salvemini beurteilte D’Annunzios Abenteuer als eine »Schande und Lächerlichkeit für Italien«. *263
    Weder schändlich noch lächerlich fand Benito Mussolini die Sache. Als Chefredakteur der Zeitung Il Popolo d’Italia unterstützte er D’Annunzio. Er verfolgte, wie der comandante (so nannte sich der Diktator selbst gern) die Massen mit feierlichen Ansprachen von einem Balkon manipulierte, wie er die erwünschten Reaktionen provozierte (wie einst Garibaldi) und seine Zuhörer ineinem rhetorischen Crescendo mitriss, gipfelnd in dem geheimnisvollen und inhaltsleeren Kriegsruf »Eia, eia, alalà!« Der Journalist in Mailand lernte auch die Bedeutung von Uniformen und Paraden kennen, den Klang des Wortes »duce«, die Nützlichkeit von Gesten der Männlichkeit wie dem zum »römischen« Gruß ausgestreckten Arm. Es wäre zu einfach, wollte man D’Annunzio als einen Mentor Mussolinis

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