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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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Bahnverbindungen nach Rom. Doch am späten Vormittag änderte der König seine Meinung und verweigerte seine Unterschrift unter das Dekret über den Belagerungszustand, das ihm sein Ministerpräsident vorgelegt hatte. Daraufhin trat Facta zurück, und Vittorio Emanuele betraute den ehemaligen Ministerpräsidenten Salandra mit dem Amt, der Mussolini aufforderte, mit ihm eine Regierung zu bilden. Als der faschistische Führer ablehnte, drängte Salandra den König, die Forderungen Giolittis (des einzigen Politikers, der Italien noch vor dem Faschismus hätte retten können) zurückzuweisen und Mussolini zum Ministerpräsidenten zu ernennen.
    Es war ein bemerkenswerter Fall von kollektivem Selbstmord der Liberalen. Das politische Italien hatte sich überraschend und unnötigerweise mit einem Ministerpräsidenten belastet, der eine unbedeutende politische Partei anführte, welche im Zuge eines bewaffneten Aufstands an die Macht gekommen war. Wie Donald Sassoon feststellte, wäre dies nicht passiert, wenn das »Establishment« Mussolini nicht geholt hätte, um »das Land von der roten Bedrohung zu säubern. Mussolini sollte zu einer Galionsfigur werden, während das alte Establishment im Hintergrund weiterregierte wie bisher«. *265 Am Ende wurde der König zur Galionsfigur, und das Establishment wurde weitestgehend von der Macht ausgeschlossen.
    Viele Liberale sahen dem Aufstieg Mussolinis zur Macht stillschweigend zu, und daran änderte sich in den nächsten Jahren wenig. Sie glaubten, ihr Staat sei zu schwach und das politische System, das kein Parteiensystem geworden war, zu instabil. In 61 Jahren liberaler Regierungen waren 86 Erziehungsminister, 88 Justizminister und 94 Marineminister gekommen und gegangen. Ein Landwirtschaftsminister hatte sein Amt am Heiligen Abend übernommen und am zweiten Weihnachtsfeiertag zurückgegeben. *266 Wie sollte eine Regierung unter diesen Umständen effizient arbeiten? Gewiss, die Liberalen hatten Mussolini unterschätzt, ebenso wie die Katholiken und die Sozialisten. Wie der König so glaubten auch sie nicht, dass sich der faschistische Führer zum Diktator aufschwingen werde. Selbst Intellektuelle vom Format eines Gobetti und Salvemini sahen keinen großen Unterschied zwischen ihm und Giolitti. Und sogar Benedetto Croce war von der Aussicht begeistert, Mussolini als Ministerpräsidenten zu haben.
    Der erste faschistische Diktator – der Prototyp – kam also mit verfassungskonformen Mitteln an die Macht, genau wie sein späterer Verbündeter Adolf Hitler zehn Jahre später. Mussolini brauchte keine Revolution wie Lenin, keinen Militärputsch wie Franco, keinen Staatsstreich und keine Morde, mit denen sich andere Tyrannen den Weg an die Macht bahnten. Dennoch wollte er in der öffentlichen Wahrnehmung brutaler erscheinen, als er in Wirklichkeit war, und behauptete gern, er sei durch den Marsch auf Rom an die Macht gekommen, während er de facto die Macht aus den Händen des Königs erhalten hatte. In Wirklichkeit gab es überhaupt keinen Marsch auf die Hauptstadt. Ein paar tausend schäbig gekleidete und schlecht ausgerüstete Faschisten versammelten sich am 28. Oktober in strömendem Regen vor den Toren der Stadt. Hätte aber der König den Belagerungszustand verhängt, so hätten die Ordnungskräfte sie problemlos vertreiben können. Mussolini selbst täuschte gar nicht erst vor zu marschieren. Er fuhr mit dem Nachtzug von Mailand nach Rom. Diese Reise verglich er dann mit Caesars Überschreiten des Rubikon.
    Am 29. Oktober 1922 wurde Mussolini zum Ministerpräsidenten ernannt, und am 16. November verriet er seine Absichten, als er sich mit den Worten an die Abgeordneten wandte, er hätte aus diesem »tauben grauen Saal« einen »Biwak für meine Soldaten machen können. Ich hätte das Parlament zumachen und eine Regierung nur aus Faschisten bilden können. Ich hätte«, fuhr er fort, »aber ich habe es nicht gewollt, vorerst jedenfalls«. Der neue Ministerpräsident machte keinen Hehl daraus, wie sehr er die Demokratie verachtete, die er für einen für die Italiener ungeeigneten Import aus dem Ausland hielt. Doch seine liberalen Gegner nahmen ihn nicht ernst. Sie schienen zufrieden damit, dass er gesetzeskonform gehandelt, den Eid auf den König und die Verfassung geleistet und ein Kabinett mit mehrheitlich nichtfaschistischen Ministern ernannt hatte, unter ihnen vier Liberale und der siegreiche General des Großen Kriegs, Armando Diaz. Sie bemerkten keine Anzeichen von

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