Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
bezeichnen (wie es später oft geschah), aber vom Stil her war er es durchaus. Kurz nach Mussolinis Ernennung zum Ministerpräsidenten erklärte ihm D’Annunzio unverblümt, der Faschismus habe alle seine Ideen vom dannunzianesimo , nichts davon habe er, Mussolini, selbst erfunden.
Zur Zeit des Intermezzos von Fiume war Mussolini 36 Jahre alt und hatte bereits die für ihn typische Sprunghaftigkeit und Widersprüchlichkeit unter Beweis gestellt. Als sozialistischer Revolutionär hatte er den Libyenkrieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Er hatte spektakuläre Protestaktionen organisiert und war dafür fünf Monate ins Gefängnis gegangen. Sein Eifer beim Ausschluss der Reformisten aus der Sozialistischen Partei hatte ihm die Ernennung zum Chefredakteur der sozialistischen Zeitung Avanti! eingebracht. Im Ersten Weltkrieg bot ihm das Parteiblatt eine wertvolle Plattform für seine Angriffe gegen die Interventionisten und seine Forderung nach Neutralität um jeden Preis. Doch im Oktober 1914 vollzog er eine Kehrtwende. Mit einem Mal sah er den Weltkrieg als eine gute Sache, insbesondere wenn er in einem Blutbad endete, das wiederum die Revolution auslöste. Er trat vom Posten des Chefredakteurs des Avanti! zurück, gründete die Zeitung Il Popolo d’Italia und bezog für sie Mittel aus Ländern, die an einem Kriegseintritt Italiens interessiert waren. Der aufwendige Lebensstil, den Mussolini bald in Mailand pflegte, wurde weitgehend vom britischen Geheimdienst finanziert.
Der Herausgeber des Popolo d ’ Italia begrüßte zunächst Wilsons Vierzehn Punkte. Als er jedoch die Folgerungen für Italiens Expansionspolitik erkannte, schwenkte er um und prangerte das Programm an. Der einstige Gegner des Nationalismus und Imperialismus wurde jetzt zum Befürworter der »imperialen Bestimmung« (destino imperiale) Italiens und forderte Territorien und »Beute« auf dem Balkan und im Nahen Osten. Im März 1919 gründete er die fasci di combattimento (»faschistische Kampfverbände«) zusammen mit etwa 100 Futuristen, Nationalisten, Kriegsveteranen und ehemaligen Revolutionären, denen nur die Unzufriedenheit über die Nachkriegssituation gemeinsam war. Aus dieser Gruppe ging zwei Jahre später die Faschistische Partei hervor, doch außer dem Hang zur Gewalt wiesen die fasci wenig auf, was sie als faschistisch charakterisierte. Die Italiener hatten wohl erkannt, wie konfus das Programm und wie inhomogen die Gruppe war, denn bei den Wahlen in Mailand Ende 1919 erhielten die Faschisten nicht einmal 2 Prozent der Stimmen. Aber schon zuvor hatten diese frühen Faschisten bewiesen, dass sie Gewalt höher schätzten als den Urnengang. Eine faschistische Gruppe, hauptsächlich arditi (Kriegsveteranen), hatte im Frühjahr 1919 die Redaktionsräume und die Druckerei des Avanti! in Trümmer geschlagen. Der Führer der fasci , ehemals selbst Sozialist und Herausgeber des Blattes, hatte mittlerweile die Sozialistische Partei zu seinem Hauptfeind erklärt.
Viele, unter ihnen auch Sozialisten, waren aus gutem Grund unzufrieden mit dem italienischen Sozialismus. Bei den Wahlen hatten die fasci eine schmachvolle Niederlage erlitten, die Sozialisten aber gewannen über 150 Sitze und wurden damit zur stärksten Kraft im Parlament, noch vor dem Partito Popolare (der neuen katholischen Partei mit 100 Abgeordneten) und vor Giolittis Liberalen (die mit nur 92 Abgeordneten einen herben Rückschlag erlitten). In einer funktionierenden Demokratie hätten die Sozialisten die Regierung bilden müssen, entweder in einer Koalition oder in einer Minderheitsregierung mit Unterstützung anderer Fraktionen, wie es die Sozialdemokraten in Schweden und wenig später die Labour Party in Großbritannien taten. In Italien aber lehnten die Sozialisten die Regierungsübernahme ab. Als Vittorio Emanuele das neue Parlament eröffnete, verließen die sozialistischen Abgeordneten den Saal, sangen dabei das Kampflied »Die Rote Fahne« und skandierten: »Es lebe die sozialistische Republik!«
Im Rückblick gewinnt man nicht den Eindruck, dass Italien damals einer »sozialistischen Bedrohung« ausgesetzt war, aber die Zeitgenossen sahen das anders. Die »Rote Woche« im Sommer 1914, als sich in der Emilia Romagna eine Revolution anbahnte, war eine Warnung gewesen. Im Sommer 1920, als Hunderttausende streikten und Fabriken und Schiffswerften besetzten, spitzte sich die vorrevolutionäre Situation zu. Der fast 80-jährige Giolitti lehnte eine
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